• Ausgabe 7-8 / 2015

    VOM WERT DER VIELFALT

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Unsere Themen im Jahr 2015

"Du bist wertvoll in meinen Augen"

Den Schwachen und Ausgegrenzten galt Jesu erste Sorge. Aber nimmt die Kirche diese Menschen ernst (genug)?

 

Wem galt die besondere Zuwendung Jesu? Neben den Kindern waren dies die Blinden, Tauben, die – in der Sprache der damaligen Zeit – „Lahmen“, „Krüppel“, „Aussätzigen“ und „Besessenen“. Das entspricht den Gehörlosen, Menschen mit körperlicher und intellektueller Beeinträchtigung, psychisch kranken Menschen und solchen, die wegen ihrer unheilbaren und womöglich ansteckenden Krankheit vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. „Du bist wertvoll in meinen Augen“ (vgl. Jes 43, 4), hat Jesus ihnen zugesagt. Sein Wirken galt in erster Linie ihnen, wie er bei seinem ersten öffentlichen Auftreten in der Synagoge von Nazareth darlegt: „Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht.“ (Lk 4, 18–21)

 

Das Gesetz übertreffen

Auf welche Weise zeigen wir benachteiligen Menschen, dass sie für Gott und uns wertvoll sind? Wohl kaum durch die Diskussion darüber, ob kirchliche Gebäude von der Pflicht zu entbinden sind, ab 2016 barrierefreien Zugang zu ermöglichen … Ebenso wenig durch

Abwiegeln und den Verweis „In unserer Pfarre gibt es keine Behinderten!“

 

Tatsächlich weist „Statistik Austria“ aus, dass in einer Pfarre mit 1.000 Einwohnern durchschnittlich 200 Menschen beeinträchtigt sind. 25 von ihnen haben eine leichte oder mittlere Sehbeeinträchtigung; zwölf weitere eine so starke, dass sie auch durch Brille oder Kontaktlinse nicht ausgeglichen werden kann. 24 haben eine Hörbeeinträchtigung, 16 davon eine leichte oder mittlere, acht eine hochgradige Schwerhörigkeit – nur die wenigsten Pfarren haben eine Induktionsschleife, die ihnen helfen könnte, dem Gottesdienst zu folgen. 126 der 1.000 Einwohner sind in ihrer Mobilität beeinträchtigt: Gibt es für sie einen flachen, barrierefreien Zugang zu Kirche, Pfarrhof, Pfarrsaal? Eine sogenannte Behindertentoilette? Wer denkt an Kinder im Kinderwagen mit ihren Eltern? Zehn der 1.000 Pfarrangehörigen haben eine intellektuelle Beeinträchtigung. 24 leiden unter einer psychischen Erkrankung.

 

Ist es nicht schade, dass wir über den Rückgang der Kirchenbesucher jammern, jedoch gleichzeitig die Menschen übersehen, die Jesus besonders am Herzen liegen? Liebe ist erfinderisch – natürlich ist Barrierefreiheit nach Norm das Ideal. Aber bevor man dieses

wegen des Aufwands und der Kosten begräbt, sollte man über alternative Wege und Möglichkeiten nachdenken. Denn diese gibt es: Ein Kind mit Down-Syndrom kann durchaus ministrieren, der Zugang zu Kirche und Pfarrsaal über eine Rampe ist vielleicht doch umsetzbar. Das Gotteslob liegt in Großdruck auf – und Menschen mit Hörgeräten folgen dem Gottesdienst dank einer Induktionsschleife ohne Problem.

 

Eigene Schwächen anders sehen

Wenn wir in diesem Sinne aufmerksam sind auf die „Lieblinge Gottes“, dann hilft uns das, auch unsere eigenen Schwächen und Behinderungen anders zu sehen – sodass wir uns auch vor denen der anderen nicht mehr zu fürchten brauchen, wie es Jean Vanier formuliert. Wie überhaupt ein Blick auf den Gründer der „Arche“-Gemeinschaften hilft, Menschen mit Behinderung nicht nur zu tolerieren, sondern das Schöne, das Liebenswürdige in ihnen zu entdecken. Gerade erst wurde er mit dem Templeton-Preis gewürdigt, einer Auszeichnung für außergewöhnliche Leistungen an der Schnittstelle zwischen Mensch und Spiritualität, höher dotiert als der Nobelpreis. Dass dies im deutschen Sprachraum kaum wahrgenommen wurde, unterstreicht wiederum, dass Menschen mit Behinderung eher außerhalb unserer Wahrnehmung sind.

 

Auf wundersame Weise erneuert

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Pfarren und Gemeinschaften, die sich auf die „Armen“ und „Schwachen“ einlassen, auf wundersame Weise erneuern. Sie erfahren Erneuerung wie die Emmausjünger, als sie Jesus erkannt haben. Vorbei die Zeit des Jammerns und der Mutlosigkeit, jetzt machen sie sich trotz der Dunkelheit auf den Rückweg nach Jerusalem, um den anderen Jüngern die Auferstehung Jesu zu bezeugen.

 

Georg Haab

 

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