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Ich habe einen Traum...

Politik als Kunst des Unmöglichen

Thesen zur Zukunft von Politik und Demokratie

In demokratischen Gesellschaften ist die Politik das bevorzugte Feld des Ringens um Ideen, Visionen und Träume vom guten Leben. Dieses Feld gilt es seitens der BürgerInnen zurückzugewinnen.

Wir erleben gegenwärtig eine Rückkehr der Politik. Diese Rückkehr irritiert angesichts des seit den 1980er-Jahren üblichen Befundes einer wachsenden Politikverdrossenheit. Tatsächlich nimmt die Zahl der Nichtwähler weiter zu. Dennoch: Es scheint sich etwas zu ändern – das zeigen nicht zuletzt zivilgesellschaftliche Initiativen wie etwa die "Occupy"-Bewegung: Der Souverän meldet sich zurück. Aus Wahlbürgern werden Aktivbürger. Aber gibt es auch eine neue Politik, die diesem neuen Interesse entspricht?

 

Ich denke, es braucht ein neues Verständnis von Politik und eine Vergewisserung dessen, was Ziel und Voraussetzung, ja was die Vision "guter" Politik ist. BürgerInnen haben die Aufgabe, darüber zu streiten. Aus diesem Grund gilt: Politik setzt die Fähigkeit des Zuhörens voraus. Denn die Fähigkeit, wirklich zuzuhören, ist eine zentrale Bedingung für die Fortdauer der Demokratie. Demokratien leben schließlich vom kommunikativen "Input" – sie sind keine "Apparate", die nach einem reinen Regelwerk ablaufen. Ohne die Beiträge der BürgerInnen geht ihnen rasch der Atem aus.

 

Verlorene Jugendlichkeit

 

Aber wie ist es um die Tatkraft der BürgerInnen, insbesondere der jungen Menschen bestellt? Viele junge Menschen sind voller Tatendrang. Sie wollen etwas aus sich machen, haben Ehrgeiz und Optimismus. Wenn der Traum von Zukunft sich jedoch darin erschöpft, lediglich die bestehenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu erfüllen und damit zu verstetigen, dann läuft etwas falsch. Denn Zukunft muss immer auch etwas anderes sein als das, was die Gegenwart ist. Eine Jugend, die nicht mehr von dietion sem anderen träumt, hat ihre Jugendlichkeit verloren.

 

Dieser Gefahr der Visionslosigkeit entspricht eine technokratische Politik, die sich auf reine, zumeist wirtschaftliche Interessenpolitik beschränkt. Dagegen brauchen wir eine Politik, die sich als kulturelle Aufgabe versteht; die dem Streben des Menschen nach einem guten Leben gerecht wird. Auf den Punkt gebracht: Kultur ist der neue Name für Politik.

 

Eine solche Politik rückt nicht das Haben, sondern das Sein, genauer das Anerkanntsein, ins Zentrum. Daraus folgt, dass Politik entstellt wird, wo sie nur mehr Klientelpolitik ist. Dagegen muss dem Gemeinwohl wieder ein prominenter Platz eingeräumt werden. Denn wer sich für das Gemeinwohl engagiert, der nimmt Abstand von egoistischen Motiven – der handelt im Interesse des Nächsten, des anderen, desjenigen, der auf Solidarität angewiesen ist. Die Leitfrage aller Politik lautet daher: Wie sollen wir zusammen leben? Darin sehe ich eine Chance auch für eine christlich inspirierte Politik.

 

Fähigkeit zur "Mitleidenschaft"

 

Während Machtpolitik vor allem nach Ordnungskriterien funktioniert, drängt eine solche "BürgerInnen-Politik" darauf, Rahmenbedingungen zu verändern, sie zu humanisieren. Schließlich erschöpft sich eine solche BürgerInnen-Politik nicht darin, nur Politik zu sein – nein, sie versteht sich als Lebensform, als Ausfluss einer demokratischen Kultur, deren Triebfeder die Vision vom guten Zusammenleben ist. Das Fundament der Politik ist somit Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist der Motor der Politik.

 

Gerade die Kirchen könnten in diesem Sinne Orte des Politischen werden, insofern sie Orte der "Repräsentation politischer Ohnmacht" (J. B. Metz) sind; Orte, an denen jenen zugehört wird, die macht- und stimmlos sind. Nur wenn ihre Stimmen gehört werden, wenn sie im politischen Diskurs Widerhall finden, ist unsere Gesellschaft eine humane und wirklich demokratische Gesellschaft.

 

Die Bedingung einer solchen Politik ist Leidempfindlichkeit. Diese Fähigkeit, sich vom Leid des anderen treffen, ja verwunden zu lassen, mit ihm mitzufühlen und dieses Leiden "beredt werden zu lassen" (Th. W. Adorno), wird nicht in der Politik erworben, sondern im vorpolitischen Raum – in den Beziehungen zu den anderen Menschen. Die Leidenschaft der Politik gründet in der Fähigkeit zur "Mitleidenschaft".

 

Welchen Typ Politiker braucht es schließlich für eine solche – neue – Form der Politik? Es braucht zuallererst demütige Politiker. Demütig in dem Sinne, dass sie sich selbst zurücknehmen, um Raum zu geben für andere und anderes. Diese Demut zeugt von der Bereitschaft, Dinge wirklich verändern zu wollen. Demütige Politiker geben sich daher aber auch nie mit der bekannten Formel zufrieden, dass Politik "die Kunst des Möglichen" sei. Nein, diese gibt es zu Genüge. Sie erschöpft sich in visionsloser "Realpolitik". Was wir brauchen ist eine Politik, sind Politiker, die Politik immer auch als Kunst des Unmöglichen begreifen.

 

Jürgen Manemann

 

Prof. Dr. Jürgen Manemann ist Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie in Hannover (fiph)

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe Jänner/Februar

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