Mag. Lukas Cioni
Redaktionsleiter / Chef vom Dienst
miteinander-Magazin
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Die Hitze schlägt mir ins Gesicht. Ich schließe die Augen, atme tief ein. Der Schweiß rinnt mir die Stirn hinab. Fast ein Hauch von Sommer. Wäre es nicht ein Kochtopf, über den ich mich zum Inhalieren gebeugt habe. Draußen ein später Wintereinbruch. Schneeflocken wehen am Fenster vorbei. Und das Anfang April. Eine Verkühlung jagt die nächste – und doch: Bei jedem Sonnenstrahl zieht es uns hinaus in den Garten. Das erste zarte Grün, Bärlauchduft liegt in der Luft, der Boden duftet wieder. Alles giert nach Frühling, nach Sommer.
„Geschichten sind geronnenes Leben.
Sie zu erinnern, belebt im wahrsten Sinne.
Denn sie sind ein Fingerzeig,
wer wir sind und wo wir herkommen.“
Sie sind Verheißung und Erfüllung zugleich, diese ersten warmen Wochen und Monate im Jahr. Und für mich immer auch eine Sehnsuchtszeit, die mich an „Sommer wie damals“ denken lässt. Denn als ich vor einem Vierteljahrhundert im Sommerurlaub in Österreich meine heutige Frau kennenlernte, da ahnte ich noch nicht, wie viel Mühen, wie viel Kraft es uns kosten würde, Jahr für Jahr eine Fernbeziehung zu führen. Sie in Innsbruck, ich in Münster. Nur wenige Besuche im Jahr, dafür Briefe. Ungezählte. Manchmal täglich. Der Mai, der Juni: die ersten Vorboten des Sommers, in dem wir uns endlich wiedersehen würden. In Kärnten, am Ort unseres Kennenlernens. Für den wunderbar langen Moment der Ferien. „Schaffen Sie sich Geschichten!“ lautet ein Rat meines Lieblingskabarettisten Hanns Dieter Hüsch. Heute, mit dem Abstand von 25 Jahren, weiß ich, was er damit meinte. Denn Geschichten sind mehr als Fiktion und Hirngespinst. Sie sind geronnenes Leben. Sie zu erinnern, belebt im wahrsten Sinne. Denn sie sind ein Fingerzeig, wer wir sind, wo wir herkommen – und vielleicht weisen sie uns damit gar den Weg in die Zukunft.
Ist Ihnen etwas aufgefallen? Das waren jetzt knapp 2.000 Zeichen, ohne dass einmal das C-Wort gefallen ist. Was ja gut passt. Denn ein „Sommer wie damals“ ist schließlich ein Sommer ohne das C-Wort. Nicht, dass ich Corona ignorieren würde. Ganz und gar nicht. Aber manchmal tut es gut, aus den Geschichten und Erinnerungen der Vergangenheit Kraft und Atem zu schöpfen. Denn der nächste Herbst kommt bestimmt. Und die nächste Verkühlung, bei der ich mich – den Kopf über den Topf gebeugt – am Dampf und an den Erinnerungen wärme.