Der morgendliche Aufbruch in den Kindergarten gleicht bei meiner jüngsten
Tochter stets einem Aufbruch zu einer mehrwöchigen Expedition. Neben Jause und Getränk werden diverse Spielfiguren, je nach Jahreszeit Unmengen an Kastanien, gern auch einfach nur Steine oder ganze Kostüme, wie das heiß geliebte Eisköniginnen-Kleid samt Handschuhen, eingepackt. Man weiß ja nie … Sonst gilt für Tramper wie für Wanderer oder Pilger: Wer hoch hinaus will, braucht einen leichten Rucksack, braucht leichtes Gepäck. Viel davon drückt, belastet, lässt die Schritte langsamer und den Atem schwerer werden.

"Bewahre dir die Leichtigkeit des Lebens – mag ich ihr zurufen, wünscht ihr mein Herz. Denn dann kann man viel er-tragen."

Uns Christen ist aber noch mehr auferlegt als solch praktische Reiseweisheit: „Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden unterwegs!“ Das sagt Jesus bei der Sendung der 72 Jüngerinnen und Jünger laut dem Evangelisten Lukas. Keinen Geldbeutel, keine Vorratstasche, keine Schuhe! Mit einem Schlag werden wir der
wichtigsten Dinge beraubt, die der weltliche Pilger, die ein Reisender damals wie heute benötigt. Gleichsam nackt sollen wir vor unserem Nächsten stehen. Bedürftig, wissend, spürend, dass unsere eigentliche Heimat nicht von dieser Welt ist. Wem das zu viel religiöses Wortgeklingel ist, der fühlt sich vielleicht angesprochen durch den Songtext des Liedes „Mit leichtem Gepäck“ der deutschen Band Silbermond:

„Eines Tages fällt dir auf / Dass du 99 Prozent nicht brauchst / Du nimmst all den Ballast und schmeißt ihn weg / Denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck.“ Und weiter: „Nicht nur dein kleiner Hofstaat aus Plastik, auch / Die Armee aus Schrott und Neurosen / Auf deiner Seele wächst immer mehr, hängt / Immer öfter blutsaugend an deiner Kehle.“

Zurück zum morgendlichen Aufbruchsritual gen Kindergarten. Heute müssen Kastanien aus dem vergangenen Herbst mit. Und das Eisköniginnen- Kleid. Vollsynthetik. Bei frühsommerlicher Hitze. Aber ich sage nichts, packe den Jausen-Rucksack meiner Tochter randvoll. Sie wirft ihn sich über die Schultern, mühevoll, aber glücklich. Das passt, denke ich mir, schließlich ist ihre Seele noch federleicht. Ist ihr Rucksack an Lebenssorgen noch denkbar leer. Bewahre dir die Leichtigkeit des Lebens – mag ich ihr zurufen, wünscht ihr mein Herz. Denn dann kann man viel er-tragen. Selbst einen Rucksack voller Kastanien im Sommer.

miteinander-Chefredakteur Dr. Henning Klingen