Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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5.47 Uhr. Seit über 20 Jahren bimmelt mein Wecker um diese Zeit. Natürlich nicht immer, aber oft. Und natürlich stehe ich dann auch nicht immer sofort auf. Aber oft. Warum 47? Keine Ahnung. Das hat sich mal so eingeschlichen und ist inzwischen zu so etwas wie einem Ritual geworden. Ebenso wie der darauf folgende Gang zur Kaffeemaschine, das Herrichten des Frühstücks und der gehetzte Aufbruch, um rechtzeitig zu Schule, Kindergarten, Bahnhof zu kommen… Kurz: Vieles im Alltag läuft nach fixen Regeln, nach eingespielten Mustern, nach Ritualen ab. Wenn sie fehlen oder etwas Unerwartetes geschieht, fängt der Motor an zu stottern. Rituale geben Sicherheit, machen den Alltag kalkulierbar.
Ähnlich funktionieren auch religiöse Rituale. Auch sie geben Sicherheit, schaffen Wiedererkennungswert und das gute Gefühl, in einen bewährten Strom der Tradition einzutauchen. Und: Religiöse Rituale öffnen Räume von Freiheit. Das mag auf den ersten Blick widersprüchlich klingen, aber vielleicht erschließt es sich, wenn Sie an einen Gottesdienst oder auch ritualisierte Formen des Gebets denken: Man beugt die Knie, man steht auf, man spricht Formeln – und zugleich lösen sich die Gedanken, derGeist wird frei.
Selbst in religionsferner Zeit erfreuen sich Rituale einer hochen Beliebtheit. Eine ganze Industrie ist rund um die Ritualbegleitung bei Lebenswenden oder auch zur Alltagsbewältigung entstanden. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden – so lange diese Rituale nicht zu Ersatzhandlungen werden, denen quasi-magischer Charakter zugesprochen wird. Tatsächlich scheint mir dies eine wichtige Aufgabe für Kirchen und Religionen zu sein: Ritualkompetenz zu bieten und Freiheit und Selbstverantwortung nicht an Rituale zu delegieren.
Zu unseren familiären Weihnachtsritualen zählt neben dem Besuch der Kinderkrippenfeier am Heilig Abend ein improvisiertes Frühstück in einem der Kinderzimmer. Schließlich ist das Wohnzimmer seit der Nacht vom Christkind „belegt“, das den Baum schmückt und – no-na – sich um die entsprechenden Geschenke kümmert. Ein Ritual, aus der Verlegenheit heraus entstanden. Mich freut diese Art von „Ritual-Produktivität“ – denn sie stimmt mich zuversichtlich, dass es eben diese Dinge sind, an die sich unsere Kinder auch noch erinnern werden, wenn sie schon längst erwachsen sind.
Seit Neuestem nun hat sich unsere jüngste Tochter angewöhnt, nachts gegen 3 Uhr zu uns ins Bett zu kriechen und mich Stück für Stück zu verdrängen. Ich hoffe, das bleibt eine Ausnahme und wird nicht zum Ritual …
miteinander-Chefredakteur Dr. Henning Klingen