• Ausgabe 7-8 / 2015

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Unsere Themen im Jahr 2015

Sehhilfe für die Seelsorge

So vielfältig wie die Gesellschaft, so vielfältig muss auch das seelsorgliche Bemühen sein. Das Zauberwort lautet „milieusensible Pastoral“.

 

Die europäischen Gesellschaften stellen sich aus soziologischer Sicht heute als hochgradig fragmentiert dar. Der große Trend lautet Individualisierung. Zugleich gestalten Menschen ihr Leben nicht nur als isolierte Individuen, sondern bilden Gruppen Gleichgesinnter. In der Forschung spricht man davon, dass sich die Gesellschaft in unterschiedliche Milieus ausdifferenziert hat, die sich in ihren ästhetischen, sozialen und inhaltlichen Ansprüchen gegeneinander abschließen. Erforscht werden diese Milieus in Österreich und Deutschland etwa vom Sinus-Institut.

 

Diese Untersuchungen – die sogenannten „Sinus-Studien“ – sind wichtige Indikatoren etwa für die Werbebranche; zunehmend aber auch für die Kirche und ihre pastorale Arbeit. Konkret unterscheiden die Sinus-Studien zehn gesellschaftliche Milieus. Diese zu Gruppen sozial Gleichgesinnter modellierten Lebenswelten zeichnen sich durch eine bestimmte soziale Lage, durch eine bestimmte Einstellung im Hinblick auf Alltagsbewusstsein, Lebensstil und Erwartungen an die Zukunft aus und tragen Namen wie „Performer“, „Digitale Individualisten“ oder „Hedonisten“. Diese etwas künstlich anmutenden Gruppierungen geben dabei sehr genau Auskunft darüber, wie Menschen leben, welche Grundwerte ihnen wichtig sind und wie sie sich sozial unterscheiden und abgrenzen, welche Sprache sie sprechen, was sie anspricht und was ihnen fremd ist.

 

Leiden an „Milieuverengung“

2005 wurde eine Auswertung auch im Blick auf das religiöse Gebaren der Deutschen veröffentlicht. Ein „Update“ folgte 2013. Diese Untersuchungen zeigten: Die Fragmentierung in getrennte Lebensräume, die kaum oder keine Berührung miteinander haben, macht auch vor der Kirche nicht halt. Es befinden sich zwar Angehörige aller Milieus in der Kirche, doch mit ihrer Verkündigung und ihrem pfarrlichen Angebot erreicht sie nur noch drei der zehn Milieus. Auch wenn es für Österreich keine eigene Kirchenstudie gibt, so kommen kleinere Online-Befragungen zu ähnlichen Ergebnissen.

 

Die Mehrzahl der Getauften ist im Leben der Pfarrgemeinden nicht beheimatet. Im kirchlichen Leben dominieren einige wenige Milieus, die der Pfarre ihre Prägung geben. Die Kirche leide somit an einer „Milieuverengung“, so der Theologe Michael N. Ebertz. Die Milieustudien können daher ein wichtiges Analyseinstrument, eine Art „Sehhilfe“ für die Pastoral sein.

 

Vielfalt wahrnehmen

Evangelisierung ist eines der zentralen Worte im Pontifikat von Papst Franziskus, aber ebenso in der pastoralen Arbeit der Kirche vor Ort. Es geht, einfach gesagt, darum, die Botschaft des Evangeliums neu zu buchstabieren – unter den veränderten, vielleicht auch erschwerten Bedingungen der Moderne. Genau dies bedeutet „milieusensible Pastoral“: die Sprache der Menschen sprechen, das Lebensgefühl berücksichtigen und den Verstehenshorizont der Menschen heute ernst nehmen. Wir müssen neu lernen, dass wir den je einzelnen Menschen in seiner Lebenswirklichkeit wahrnehmen müssen; dass diese Lebenswelten sehr unterschiedlich sind – und es schließlich auch zahlreiche unterschiedliche religiöse Milieus gibt, in denen Menschen leben.

 

Letztlich ist eben diese Absicht bereits in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils formuliert. Dort heißt es: „Von Beginn ihrer Geschichte an hat die Kirche gelernt, die Botschaft Christi in der Vorstellungswelt und Sprache der verschiedenen Völker auszusagen (…). Denn so wird in jedem Volk die Fähigkeit, die Botschaft Christi auf eigene Weise auszusagen, entwickelt und zugleich der lebhafte Austausch zwischen der Kirche und den verschiedenen nationalen Kulturen gefördert (…). Es ist jedoch Aufgabe des ganzen Gottesvolkes, vor allem der Seelsorger und Theologen, unter dem Beistand des Heiligen Geistes auf die verschiedenen Sprachen unserer Zeit zu hören, sie zu unterscheiden, zu deuten und im Licht des Gotteswortes zu beurteilen, damit die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfasst, besser verstanden und passender verkündet werden kann.“ (GS 44)

 

Über Grenzen hinweg

„Milieusensible Pastoral“ bedeutet demnach nicht – so die Grundaussage dieser Passage aus „Gaudium et spes“ –, dass es bloß darum geht, die Frohe Botschaft „an den Mann oder an die Frau zu bringen“, es geht auch nicht darum, andere „auf Kurs“ zu bringen. Es geht vielmehr darum, die eigene Milieu-Grenze zu überschreiten, um miteinander zu lernen, miteinander das Reich Gottes zu suchen, mit Gläubigen, Ungläubigen, Fremden über die Grenzen der Milieus hinweg. Oder um es „milieusensibel“ mit Paulus zu sagen: „Den Performern werde ich Performer, den Adaptiv-Pragmatischen ein Adaptiv-Pragmatischer und den Hedonisten ein Hedonist.“

 

 

Stefan Lorger-Rauwolf

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