Mag. Lukas Cioni
Redaktionsleiter / Chef vom Dienst
miteinander-Magazin
Stephansplatz 6
1010 Wien
Tel.: +43 1 516 11-1500
Sie haben eine neue Adresse? Schreiben Sie uns hier oder rufen uns unter DW 1504 an.
Ich würde eine Rückfrage stellen: Zweifelt jemand, der so spricht, tatsächlich? Gibt er nicht vielmehr nur vor, er wisse, dass es Gott nicht gibt? Mich würden die Begründungen oder Beweise für diese Behauptung interessieren. Und ich würde gerne mit Karl Poppers Wissenschaftstheorie zurückfragen, wie man die Nichtexistenz von etwas empirisch beweisen kann? Ich sehe große methodische Schwierigkeiten, die Nicht-Existenz Gottes zu beweisen.
Zweifeln war und ist für alle Menschen existenziell. Wer nicht zweifelt, macht was falsch. Es irrt der Mensch, so lang er lebt – und daher zweifelt er an allem, was er anfängt. Gut, ein Skispringer sollte vielleicht nicht ins Zweifeln geraten, wenn er gerade auf den Schanzentisch zufährt… Aber wir zweifeln im Supermarkt, ob das, was auf der Verpackung steht, auch dem entspricht, was in der Packung enthalten ist. Wir zweifeln am Wahlabend, ob wir dem gewählten Politiker wirklich vertrauen können. Wir sind uns unsicher, weil wir die Zukunft nicht kennen. Weil wir nicht alle Informationen haben, die wir zur Entscheidung brauchen. Wäre es da nicht erstaunlich, wir würden nicht auch bei unserem Glauben zweifeln?
Ja, mein Zweifel ist ganz von dieser Welt. Ich frage mich, warum wir uns selbst vertrauen dürfen. Wie können wir begründen, dass es vernünftig ist, vernünftig zu denken? Wir tun‘s einfach alle, im Vertrauen darauf, dass es gut geht. Das ist nicht gutgläubig, schon gar nicht "gut gläubig", das ist eigentlich doch etwas naiv und sicher unaufgeklärt. An der Gültigkeit solcher Naivität zweifle ich. Ich bezweifle, dass wir Menschen fähig sind, mit unserem Denkapparat alles zu erkennen und zu steuern, was es zu erkennen und zu steuern gibt. Mein Zweifel hat vielleicht einen nicht ganz so unzuverlässigen Zeugen: Die Geschichte. Nichts Menschliches ist unverändert geblieben. Kein Stein bleibt ewig auf dem anderen. Sollten wir daher nicht an der Endgültigkeit unserer Vernunft zweifeln? Daran, dass wir es mit unseren Mitteln schon endgültig richten?
So könnte man es formulieren. Dieser Zweifel an der Endgültigkeit der menschlichen Vernunft ist es, was alle Konfessionen der Welt ausmacht. Keine Konfession, die den Menschen absolut setzt. Jede warnt davor, sei es in den Wundergeschichten des neuen Testaments, sei es in der antiken Tragödie des Ödipus, der glaubt, gegen den Beschluss des Orakels aufbegehren zu können. Hätte Ödipus doch an seiner eigenen scheinbar endgültigen Weisheit und Allmacht gezweifelt! Es wäre klüger gewesen, hätte viele Leben gerettet und sein Lebensglück dazu. Wir müssen also im Zweifel leben und im Vertrauen darauf, dass wir trotz des Zweifelns handeln können.
Alle mir bekannten Schöpfungsgeschichten aus vielen Kulturen erzählen, dass der Mensch von einem absoluten Wesen gemacht wurde. Im Alten Testament heißt es: Gott hat die Welt geschaffen, und er sah, dass sie gut war. Das meine ich mit Vertrauen. Der Chirurg, der Lehrer, der Skispringer, sie alle leben in diesem Vertrauen. Sie alle vertrauen darauf, dass jemand es gut mit ihnen meinte, als er sie mit Vernunft und Wille ausgestattet hat. Begründen kann man das nicht. Man kann es nur glauben. Der Zweifel an der Allmacht des Menschen führt zum Vertrauen an die gut gemachte Ausstattung des Menschen. In diesem Sinne fußt all unsere Kultur auf einem festen Glauben, nämlich auf dem unbeweisbaren Glauben, dass wir mit unserem Verstand etwas Sinnvolles anfangen können. Insofern handeln wir alle immer religiös. Ob wir nun wollen oder nicht. Wir vertrauen alle auf diesen einen schönen Satz: "Und er sah, dass es gut war."
Ja, ich bin weder theologisch geschult noch religionswissenschaftlich ausgebildet. Aber ich bin Bürger eines Landes, in dem es Religionsfreiheit gibt. Diese Freiheit muss ich als Bürger nutzen. Unser alltägliches Leben kann nicht warten, bis wir alle Theologie studiert haben. Doch nicht nur Gelehrte dürfen glauben. Nein, Glauben gehört zu unserer Erstausstattung, wie Hunger, Durst, Liebe, Kunst und Politik. Wir handeln immer schon im Vollzug von etwas, was wir erst nachträglich reflektieren können. Das Religiöse ist unsere anthropologische Ausstattung: Es ist der Zweifel daran, dass Menschenwerk vollkommen sein kann. Über die eigene Endlichkeit nachzudenken – das kann man gar nicht umgehen. Wenn man sich ein tolles Bild auf dem Kunstmarkt kauft, fragt man sich doch sofort: Was wird damit, wenn ich sterbe? Wir alle leben immer schon über unseren Tod hinaus. Wir leben immer, als ob wir unsterbliche Verantwortung hätten, aber leider sterben müssen. Wir leben in dem "Als ob" der Ewigkeit. Diese Reflexionen auf die eigene Endlichkeit, die nenne ich Religion.
Gewiss, Religion ist in dem Sinne hoch politisch. Unsere säkulare Demokratie beruht auf einer im tiefsten Sinne religiösen Überzeugung, nämlich der, dass es sinnvoll ist, das Gute zu suchen, obwohl es dieses absolut Gute noch nie auf der Welt gab. Deshalb brauchen demokratische Staaten in Wissenschaft und Schule gültig reflektierte Religion und staatliche gesicherte Religionsfreiheit. Die Demokratie basiert letztlich auf nichts anderem als auf gutem Glauben. Sie vertraut darauf, dass alle Bürger das Gute wollen. Obwohl keiner es kennt. Und den Glauben daran sollte die Demokratie daher sehr fürsorglich behandeln. Darin unterscheidet sich die Demokratie von der Diktatur. Die beruht, wie der chinesische Revolutionär Mao Tse Tung einmal sagte, auf den Gewehrläufen. Da braucht man dann keine Religion mehr. Sie würde stören.
Religion wird nicht gebraucht, sie ist vorausgesetzt. Wir leben immer schon in ihr. Sie ist denknotwendig. Denn sie ist – gleich welcher Konfession – Ausdruck einer existenziellen Erfahrung: Wie können wir von der Skischanze abspringen, wenn doch alles im Zweifel stünde? Wie können wir handeln, wenn wir wissen, dass alles Denken vorläufig ist? Den Gedanken kann man auch umdrehen: Wie schlecht-gutgläubig sind jene, die ihr Denken schon für der Weisheit letzten Schluss halten! Die Todesurteile über andere Menschen sprechen. Die alles, was nicht passt, wegbomben! Das Wort "Endlösung" für das Verbrechen schlechthin, fasst in einem Wort zusammen, was ich in der Tat anklage: Die Vermessenheit von Menschen zu behaupten, sie hätten für alles eine endgültige Lösung. Die Kritik dieser Vermessenheit ist weder neu noch von mir. Im Alten Testament ist sie in der grandiosen Metapher vom Turmbau zu Babel erfasst. Jede Epoche bedarf dieses Gedankens. Wenn ich diesen Gedanken in Anschlag bringe, dann verzwecke ich nicht die Religion. Ich erinnere nur an sie. Und ich frage, welche Bedeutung Religion heute für unser Leben hat.
Volker Ladenthin lehrt Historische und Systematische Erziehungswissenschaft an der Universität Bonn.
Literaturtipp Zweifeln, nicht verzweifeln! Warum wir Religion brauchen. Echter, Würzburg 2016. ISBN-10: 3429039436 |
Henning Klingen
Chefredakteur
Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2017 | Ausgabe März/April
Jetzt kostenloses Probeabo bestellen!