Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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Eine Grundlage eines guten oder geglückten Lebens liegt meines Erachtens darin, die eigene Reifung aufrichtig zu verfolgen. Kann ich mir Fehler eingestehen? Blicke ich der Wirklichkeit ins Auge? Treffe ich eigenverantwortlich Entscheidungen? Glück beschreibt insofern die Fähigkeit zu lieben und das eigene Leben ungeachtet allen Leids bejahen zu können. Dieses Glück lässt sich nicht erzwingen. Es ist ein Geschenk. Hilfreich ist es jedoch meines Erachtens, den Blick auf das Ende gerichtet zu lassen: Wie möchte ich mein Leben gelebt haben, wenn mir die letzte Stunde schlägt?
In der Philosophie gibt es den Begriff der "Geburtslotterie". Dieser besagt, dass manche die Chance besitzen, unter positiven Bedingungen aufzuwachsen. Wer "moralisches Glück" hat, also nicht in Situationen kommt, die Tapferkeit und Mut erfordern, kann sich mehr in die Gemeinschaft einbringen. Von Menschen mit negativer Biographie wie z.B. Obdachlosen, Arbeitslosen, Behinderten, Kranken, Vertriebenen etc. darf diesbezüglich nicht so viel verlangt werden.
Das zeugt von enormer Überheblichkeit. Es ist hingegen ein Zeichen von Reife, sich vom Schicksal anderer berühren zu lassen. Dafür braucht es die Verwundbarkeit. Diese Fähigkeit müssen jene, die fest im Sattel sitzen, erst mühsam erlernen. Im Leben geht es nicht darum, viel zu erreichen und zu leisten, sondern weich und berührbar zu sein. Dann entsteht beglückende Berührbarkeit.
Das Böse ist ein Mysterium. Die Kirche sieht das aus gutem Grund so. Aber es kann uns auch herausfordern. Wir erringen durch zugefügte Wunden eine Reife, die uns sonst versagt bliebe. Resilienz lässt Menschen nach größtem Leid erblühen. Eine seelische Wunde kann man jedoch nicht einfach zuheilen wie ein gebrochenes Bein. Dies ist nicht allein durch guten Vorsatz und Willensstärke verwirklichbar. Oft sind die Schmerzen zu tief, die Erfahrung von Geliebtsein nicht vorhanden.
Ein Abt hat einmal zu mir auf diese Frage gesagt: Nein, aber wir lernen am meisten aus Fehlern. Oft ist tiefster Schmerz nötig, um danach wachsamer mit uns selbst und anderen umzugehen. Menschen, die ohne jede Krise durchs Leben gehen, haben etwas Unheimliches an sich. Wachsen bedeutet nicht nur, mit schön behauenen Steinen zu arbeiten, sondern auch mit Bruchstücken. Lebenssinn zeigt sich in der dunkelsten Stunde.
In einer guten Freundschaft ist ehrliche Kritik möglich, die um den Erfolg des anderen bemüht ist. Genauso ist das im Verhältnis zu sich selbst. Nur wenn ich mich liebevoll annehme, kann ich mir meine Schwächen eingestehen. Dabei hilft die Erfahrung, von nahestehenden Menschen geliebt bzw. mit Liebe bedacht worden zu sein. Arbeiten Sie dazu z.B. an einer "Gebrauchsanleitung für sich selbst." Die Kunst, mit sich befreundet zu sein, besteht darin, sich selbst zu erkennen und Talente zum Vorschein zu bringen, die im Verborgenen blühen.
Das Interview führte Gertraud Kokusz
Clemens Sedmak lehrt Sozialethik am King’s College London und ist u.a. Gründer und stellvertretender Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg. Zuletzt erschienen von ihm die Bände "Mensch bleiben in der Politik" und "Ans Herz gelegt. Die vielen Sprachen der Liebe".