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Sei mutig!

Mutig gegen den gesellschaftlichen Strom schwimmen

Angst ist ein ständiger Begleiter im Leben. Wenn wir ihr mit Vertrauen und Mut begegnen, können wir und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen daran wachsen und reifen.

 

Sind Mutige nicht zuletzt Ängstliche, die gelernt haben, keine Angst vor der eigenen Angst zu haben?

 

Mit wieviel Mut ein Mensch durch das Leben geht, ist meiner Ansicht nach von drei Faktoren abhängig: Zum einen sind Mutportionen angeboren, Unterschiede sind hier schon bei sehr kleinen Geschwisterkindern erkennbar. Einen wesentlichen Anteil haben dann Erziehung und damit persönliche Erfahrungen: Mutige Eltern vermitteln ihren Kindern auch das Zutrauen, dass Hindernisse da sind, um überwunden zu werden. Leben die Eltern selbst in einer großen Sicherheitszone mit möglichst wenig Risiko, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch die Kinder eher unsicher ins Leben gehen. Und der dritte Faktor ist dann natürlich die "Selbsterziehung": Viktor Frankl sagt, die Eltern geben uns das Baumaterial mit, doch wir sind die Baumeister unseres Lebens. Wir können also auch bewusst lernen, Schritt für Schritt mutiger zu werden. Ganz nach der Frankl'schen Devise: "Ich muss mir von mir selber nicht alles gefallen lassen!"

 

Niemand ist vor größeren und kleinen Ängsten gefeit. Was sind die Lichtseiten der Angst?

 

Angst ist ein "Über-Lebensmittel". In vielen Situationen ist es ja sinnvoll, auf unsere ängstliche innere Stimme zu hören und die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zu treffen oder manche Situationen völlig zu vermeiden. Angst bremst uns und ermöglicht uns damit auch ein Innehalten, um manche Entscheidungen nicht reflexartig, sondern bewusst zu treffen. So kann ich dann möglicherweise das Risiko besser dosieren.

 

Was sollte aus Ihrer Sicht ein Mensch tun, der eine (Lebens-)Situation als entmutigend erlebt?

 

Wichtig ist es, inne zu halten und die Situation genauer zu betrachten: Was ist wirklich passiert? Hätte ich mich anders verhalten können? Habe ich mir in dieser Situation vielleicht zu viel vorgenommen? Was kann ich daraus lernen? Was oder vor allem wer kann mir beim nächsten Anlauf helfen? Hilfe annehmen gehört laut WHO zu den Lebenskompetenzen. Leider fehlt vielen von uns schon dazu der Mut.

 

Wir sind einer Vielzahl von möglichen Ängsten ausgesetzt, die es in früheren Zeiten nicht gab, darunter etwa die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, den Lebensstandard nicht halten oder beruflichen Anforderungen nicht mehr Folge leisten zu können; aber auch Angst, einem körperlichen Schönheits- oder einem sozialem Leistungsideal nicht zu entsprechen. Wie können wir lernen, damit umzugehen?

 

Hier lohnt sich zum einen ein Blick auf die eigenen Werte, ich muss nicht jede öffentlich propagierte Haltung kritiklos übernehmen. Ich darf auch – mutig – gegen den gesellschaftlichen Strom schwimmen. Sind tatsächlich existentielle Fundamente bedroht, so kann es hilfreich sein, zeitgerecht Alternativen ins Auge zu fassen und sich vor allem nicht von der Angst im Denken blockieren zu lassen. Oft lassen sich dann doch Türen in der "Mauer der Angst" öffnen und das Leben geht dahinter wieder gut weiter.

 

Den Mut, in Szenarien und Möglichkeiten, aber auch in Alternativen und Lösungen zu denken, bringen viele mit. Diesem jedoch auch eine sinnzentrierte Handlung folgen zu lassen, stellt Menschen vor bisweilen große Herausforderungen. Wie kann hier der logotherapeutische Ansatz unterstützend sein?

 

Zum einen natürlich durch die oben bereits erwähnte Trotzmacht des Geistes, die uns mobilisiert, Gedanken Handlungen folgen zu lassen. Es ist aber auch wichtig, nicht alles auf eine Karte zu setzen: Wenn es nur einen Wert, wie z.B. die Arbeit, in meinem Leben gibt, wird ein drohender Verlust eine sehr, sehr große Krise auslösen. Ist mir aber bewusst, dass es in meinem Leben auch noch andere Werte gibt – z.B. Familie, Freunde, Interessen –, so erkenne ich in diesen Bereichen sinnstiftende und damit auch stabilisierende Faktoren. Und alle meine bisherigen Erfahrungen sind unverlierbar geborgen in meinem Leben und können jetzt ein Fundament der Zuversicht bilden, das mich ermutigt, auch diese Hürde zu meistern.

 

Etwas zuzugeben, etwa einen Fehler oder auch das eigene Scheitern, erfordert bisweilen (großen) Mut. Schätzen wir diesen Mut ausreichend in unserer Gesellschaft?

 

Aus meiner Sicht wird es langsam besser. Der Begriff "Fehler-Kultur" setzt sich immer mehr durch. Vor einiger Zeit habe ich in einer Radiosendung zu diesem Thema folgende Aussage eines Volksschulkindes gehört: "Unsere Frau Lehrerin hat gesagt, Fehler sind unsere Freunde!" Wenn sich diese Haltung immer mehr verbreitet, dann können aus Fehlern, aus Missgeschicken auch Lerngeschenke werden und sie erhöhen vor den nächsten Schritten nicht die Mauer der Angst, sondern sie zeigen uns Alternativen für einen neuerlichen Anlauf. Auch in einigen wirtschaftlichen Bereichen, wie z.B. Luftfahrt und Medizin, gibt es da schon viele Initiativen, die in Fehlern auch ein Potential erkennen. Andere Bereiche haben da noch größere Entwicklungsmöglichkeiten.

 

In der Arbeitswelt ist vieles im Wandel. Was zeichnet mutige Führungskräfte, aber auch mutige MitarbeiterInnen aus?

 

Mutige Menschen, egal in welcher Position, brauchen ein gutes Selbstwertgefühl. Das heißt, sie sind sich ihrer Stärken, Fähigkeiten und Erfahrungen bewusst, aber auch ihrer Schattenseiten. Mutige Menschen sind auch neugierig: Sie schätzen Erfahrung, doch sie denken und gehen dann vor allem auch in neuen Bahnen. Und mutige Menschen sind begeisternde Persönlichkeiten: Sie können andere mit ihrer Freude an einem neuen Projekt, an einer neuen Herausforderung anstecken. Spürbar wird dies nicht nur durch mitreißende Worte, sondern auch durch die Gabe des Zuhörens. Mutige Menschen können mit Kritik gut umgehen und nehmen Fragen und Anmerkungen als Verbesserungsvorschläge und nicht als Kränkung an.

 

Medien sehen sich immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Angst-und Panikmache Teil des journalistischen Geschäftes ist. Muss das so sein? Was wünschen Sie sich in diesem Zusammenhang?

 

Leider gilt bei Medien immer noch über weite Strecken der Grundsatz, dass schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, weil sie bei den KonsumentInnen einen viel nachhaltigeren Eindruck hinterlassen und viel mehr Aufmerksamkeit erzeugen. Ereignisse, die ermutigend sind, bekommen selten vergleichbare Aufmerksamkeit. Doch auch hier gibt es erfreuliche Anzeichen für Veränderung. Immer wieder setzen diverse Medien hier bewusst einen Schwerpunkt und bringen "good news", und all die Initiativen gegen Hasspostings im Netz machen auch Mut. Hinter Hass steht ja letztendlich Angst, im Vergleich zu kurz zu kommen. Der wirksamste Gegenspieler zur Angst ist letztendlich Vertrauen: in meine eigene Möglichkeiten genauso wie in andere Menschen. Und Vertrauen braucht ein "vertraut machen können", ein vorurteilsfreies Kennenlernen. Medien sind hier quasi Vermittler von "second hand-Begegnungen": Sie zeichnen ein Bild von Menschen und Situationen, die ich selber nicht erleben kann – und diese Bilder können mir Mut machen, sie können mir zu Vor-Bildern werden, oder sie können mir Angst machen, meine Vor-Urteile nähren. Ich wünsche mir viele Berichte über ermutigende Vor-Bilder.

 

Wie haben Sie die Kirche in unterschiedlichen Phasen Ihres Lebens erlebt: als Angstmacherin oder doch als Frohe Botschaft-Bringerin?

 

In meinem persönlichen, privaten Leben habe ich Menschen, die für mich Kirche repräsentiert haben, in einem weitaus überwiegenden Maß als überzeugende, ermutigende VermittlerInnen der frohen Botschaft erlebt. Begonnen bei meiner Mutter, die mir das Bild eines liebenden Gottes mit auf den Weg gegeben hat, und vielen anderen Persönlichkeiten, die mich immer wieder zu einem kritischen Dialog ermutigt haben, auf der Basis eines großen Vertrauens. In meinem beruflichen Bereich, in meiner therapeutischen Praxis erlebe ich allerdings oft Menschen, die Kirche und ihre VertreterInnen als lieblos, autoritär und verletzend erlebt haben. Diese Wunden werden als besonders schmerzlich empfunden, weil ja die Worte nach außen ganz andere Hoffnungen wecken, denen dann die tatsächlichen Erfahrungen absolut nicht entsprechen. Aus diesen Kränkungen entsteht dann oft ein Teufelskreis aus Misstrauen und Angst, der sich in vielen Lebensbereichen auswirkt.

 

Das Interview führte Elisabeth Grabner

 

Dr. Brigitte Ettl ist Psychotherapeutin (Existenzanalyse und Logotherapie), Wirtschaftscoach, Mediatorin, Supervisorin, Geschäftsführerin des Instituts für System und Werte.

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2017 | Ausgabe Mai/Juni 2017

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