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Sei mutig!

Mut > Angst

"Fürchtet Euch nicht!" lautet ein zentraler Appell aus dem Evangelium. Doch was bedeutet er ins Konkrete gewendet? Klaus Schwertner mit einer Annäherung aus Perspektive der Caritas.

 

Für viele Menschen – auch für mich – ist es der vielleicht schönste Satz der Bibel. Ein Gedanke Gottes, gedacht auch von sehr vielen Menschen im Hier und Jetzt: "Fürchtet Euch nicht!" (Lk 2,10).

 

Seid mutig! Ja, manches im Leben kann Angst auslösen. Damals, zu Lebzeiten Jesu, aber auch heute in der uns anvertrauten Zeit. Es ist die Sorge angesichts zunehmender Arbeitslosigkeit, das Unbehagen angesichts einer steigenden Zahl von Menschen, die vor Bomben und Terror fliehen müssen. Angst vor Hass, vor Gewalt oder auch davor, im Alter allein- und in Einsamkeit entlassen zu sein.

 

Werden es meine Kinder einmal auch so gut haben wie ich? Gelingt es mir, die Welt ein Stück weit gerechter zurückzulassen als ich sie vorgefunden habe? Und bin ich da, wo ich gefordert bin, im Angesicht des Anderen, Mensch und da… Dennoch und gerade deshalb: "Fürchtet Euch nicht!" Gerade in Tagen wie diesen gewinnt diese Botschaft Jesu wieder an Kraft, an Bedeutung und an Aktualität. Auch für mich.

 

Als Caritas-Verantwortlicher bin ich oft an Orten, an denen das Leben für Menschen brüchig geworden ist. In der Pflege und in der Hospizarbeit. In unseren Flüchtlingsquartieren oder in einem Jobprojekt für wohnungslose Jugendliche. Und doch darf ich sagen: Ich fürchte mich nicht! Ich fürchte mich nicht, weil ich weiß, dass es oft gerade auch diese Orte der Not sind, die Menschen Mut machen können. Unsere Obdachloseneinrichtung Gruft. Die Mutter-Kind-Häuser. Oder unsere Langzeitarbeitslosenprojekte. All diese Orte sind bei allen Schwierigkeiten, bei allem, was schwer ist, eben auch Orte des Neuanfangs und Orte der Zuversicht. Der Hoffnung und der Aufmerksamkeit füreinander.

 

Rechte wie jeder andere

 

Tag für Tag begegne ich Menschen, die wieder aufstehen und weitergehen. Menschen, denen der Blick zurück oft schwerfällt und deren Blick nach Vorn noch verschwommen und ungewiss erscheint. Menschen, die versuchen, ihre Angst zurückzulassen und von neuem Mut zu schöpfen. Diese Menschen sind es auch, die mich inspirieren und die auch mir Mut machen.

 

Ich erinnere mich noch gut, als im Oktober 2014 der Wiener Stadtpark von der Polizei in einer Nacht- und Nebelaktion geräumt wurde. Wie dabei obdachlose Menschen wegen Verstoßes gegen die Kampierverordnung aus dem Park vertrieben, ihre Habseligkeiten entsorgt wurden. Die Empörung war damals groß. Nicht nur die Empörung von Hilfsorganisationen, sondern auch die Empörung und die Solidarität vieler Wienerinnen und Wiener – vor allem aber der Betroffenen selbst.

 

Herbert war einer von ihnen. Er lebte seit einem Jahr wieder auf der Straße. "Wir haben Rechte wie jeder andere auch", wurde er nicht müde zu betonen. Herbert gab den Menschen im Stadtpark ein Gesicht, und er hat uns mit der Frage konfrontiert, wie wir mit ihm und dem Phänomen akuter Obdach- und Wohnungslosigkeit umgehen wollen. Sein Mut, sich trotz seiner Situation öffentlich zu dieser Räumung zu äußern und sein Gerechtigkeitssinn haben mir enorm imponiert.

 

Herbert ist mittlerweile aus dem 65.000 Quadratmeter großen Park in ein 22 Quadratmeter großes Zimmer in einer Einrichtung für wohnungslose Menschen umgezogen. Als ihn meine Kollegen zuletzt besucht haben, sagte er: "Ich bin glücklich hier. Nur das Fenster bleibt offen. Ansonsten bekomm ich Platzangst." Der Schlafsack, den er im Stadtpark von den Mitarbeitern der Gruft bekommen hat, lag eingerollt im Kleiderschrank. „Für Notfälle“, hat er gesagt. Bis heute ist dieser Notfall nicht eingetreten.

 

Wider die lähmende Angst

 

Herbert hat mir Mut gemacht. Wegen Menschen wie ihm fürchte ich mich nicht. Menschen wie er stärken mein Vertrauen ins Leben. Und meine Erfahrung als Caritasverantwortlicher macht mich sicher: Nichts hemmt Nächstenliebe und Solidarität mehr als Angst. Wem am Gemeinsamen, am Zusammenhalt und an der Zukunft unseres Landes gelegen ist, der errichtet Brücken dort, wo gesellschaftliche Gräben tiefer zu werden drohen.

 

Die Botschaft Jesu meint: Wir dürfen und sollen hoffen. Sie meint aber auch, dass wir in unserem Handeln und Tun gefordert sind. Dass wir gefordert sind, dort, wo Menschen in Not sind. Und dass wir gefordert sind, jenen Werten Raum und Stimme zu geben, die uns sicher durch die vergangenen Jahre und Jahrzehnte getragen haben: Mitmenschlichkeit, Solidarität und Nächstenliebe. Aufeinander zugehen, teilen, füreinander da sein und bestehende Gräben überwinden. Mut ist größer als Angst. Liebe ist größer als Hass.

 

Klaus Schwertner

 

Klaus Schwertner ist Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien. Zuvor war er von 2008 bis 2013 deren Pressesprecher.

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2017 | Ausgabe Mai/Juni 2017

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