Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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Der Film "Billy Elliot. I will dance" führt uns ins englische Bergarbeiter-Milieu. Er erzählt von einem Jungen, den sein Vater in einem Boxclub anmeldet. Der Junge soll lernen, sich "durch's Leben zu schlagen", denn die Zeiten sind hart. Der Vater will das Beste für seinen Jüngsten. Und doch: Es kommt ganz anders. In der Sporthalle, in der der Boxclub trainiert, übt auch eine Ballettschule. Fasziniert beobachtet Billy die Bewegungen der jungen Tänzerinnen. Schließlich schwänzt er sein Boxtraining und geht heimlich in die Ballettstunden. Die Ballettmeisterin erkennt sein Talent.
So kommt die Geschichte in Gang. Entsetzt reagieren Vater und älterer Bruder: Die Sorge wächst, Billy könne schwul sein. Bei Billy selbst werden Zweifel wach. Aber mit Hilfe der "Hebamme", der Ballettmeisterin, und nach Überwindung innerer Widerstände, wird Billy schließlich in die königliche Ballettschule aufgenommen. Und wir, als Zuschauer, werden mit dem Wissen entlassen: Keiner kann auf Dauer gegen seine Berufung leben, es sei denn, er führt fortan ein trauriges Dasein gegen sich selbst.
Die Frage ist also nicht, ob wir eine Berufung und Talente haben. Die Frage lautet: Kann ich meiner Berufung trauen? Können sich meine Talente durch guten Gebrauch sogar vermehren? In ihrem alten Lebenswissen sagt die Bibel: Du hast eine Berufung und du hast Talente, um diese Berufung zu leben. Auch für die, die in unseren Augen eingeschränkt leben müssen, gilt das: Kranke, behinderte Menschen etc. Die Macht-Geld-Spaß-Götter beuten Talente aus, werfen sie dann aber, ausgebrannt, weg. Der göttliche Talentgeber bleibt dagegen bis ins Alter treu. Es ist gut, Gott, Berufung und Talent in einem Atemzug zu nennen. Gott will unsere Möglichkeiten weiten, nicht einengen.
Jede Gemeinschaft lebt von den Talenten ihrer Glieder. Leider geschieht es immer noch und selbst in kirchlichen Gemeinschaften, dass Menschen – um im Bild zu bleiben – bei einem Boxclub angemeldet werden, ihre Berufung aber im Tanz haben. Am Ende erleben wir dann gebrochene Existenzen, Menschen, die weder boxen noch tanzen können. Am Ende finden wir missmutige und unzufriedene Menschen: Nonnen, Mönche, Priester – oder auch Arbeiter, Beamte, Väter, Mütter. Talente zu fördern, ist eine soziale Tat – in den Augen Gottes. In der Welt aber herrscht das Gesetz von Billys Vater: "Ich weiß, was für dich gut ist."
Gottes Frage, die auch meine werden muss, lautet: Wohin führt mich der Ruf meines Lebens? Was brauche ich, um meine Berufung leben zu können? Die junge Kirche fing dynamisch an, weil sie sich an den Charismen orientierte. Es gab am Anfang keinen Masterplan Jesu oder der Apostel, nach dem sich Kirche organisierte. Am Anfang war Pluralität. Zusammengehalten wurde die Vielfalt durch die Liebe. In der Liebe hatte die junge Kirche den Mut, ihre Glieder in ihren Möglichkeiten zu stützen und diese Fähigkeiten für alle dienstbar zu machen. Es ist die Praxis Gottes selbst.
Gottes Liebe vollzieht sich im Spiel seiner und unserer Berufungen und Talente. Am Ende eines Gedichtes von Hans Magnus Enzensberger heißt es entsprechend:
Alle können sie etwas,
tragen bei zu Deinem Unterhalt,
Deiner Unterhaltung,
leisten Dir,
ob Du willst oder nicht,
Gesellschaft
– und du?
Wilhlem Bruners
Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2017 | Ausgabe Mai/Juni 2017
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