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Sei mutig!

"Es fehlt uns an Mut"

Kilian Kleinschmidt hat eines der größten Flüchtlingslager der Welt in Jordanien geleitet. Zuletzt beriet der leidenschaftliche Entwicklungshelfer die österreichische Regierung in Flüchtlingsfragen.

 

Herr Kleinschmidt, wenn man Ihre Biografie betrachtet, sind Sie ein "Hansdampf in allen Gassen". Was ist die Triebfeder dahinter? Sind sie ein Getriebener?

 

Was mich antreibt, ist die Hoffnung auf Veränderung. Ich bin überzeugt, dass es diese Kraft zur Veränderung gibt. Man muss nur den Mut haben, Entscheidungen zu treffen. Einer meiner ersten Chefs war ein "Gambler", ein Zocker: Er hat mir einmal gesagt: Das Einzige, was du in deinem Leben tun musst, ist so schnell wie möglich zu spielen. Nicht auf deinen Karten zu sitzen und lange zu überlegen. Entweder du verlierst oder du gewinnst. Aber wenigstens passiert etwas. Und wenn ich auf meine Jahre in der UNO zurückschaue, muss ich sagen, dass man dort zu sehr auf den Karten sitzt. Dass es bei all dem tatsächlich um Schicksale geht, um Menschen, das verstehen einige Bürokraten nicht.

 

Was wäre der Zeitpunkt, wo Sie sagen würden, die Arbeit ist getan?

 

Diesen Zeitpunkt gibt es nicht – dazu habe ich zu sehr das Böse im Menschen kennen gelernt. Es wird immer etwas zu tun bleiben, auch wenn es natürlich in der Theorie der Entwicklungshilfe jenen Punkt gibt, an dem man sagen könnte: Wir haben es geschafft. Das wäre jener Momnet, wo jene Milliarde Menschen, die heute hungrig ins Bett geht, nicht mehr Hunger leidet. Aber Konflikte und Verteilungskämpfe wird es immer geben. Und sie werden sich mit der Verknappung der Ressourcen wohl noch verstärken.

 

Was ist Ihre Vision einer humanen Flüchtlingshilfe in Europa?

 

Das wichtigste scheint mir eine bessere Verteilung der Ressourcen. Ich sehe da die Wirtschaft genauso gefordert wie die Finanzwelt. Das Flüchtlingsthema ist ein umfassendes, alle Bereiche des sozialen Zusammenlebens berührendes Thema. Wenn ich die aktuelle europäische Abschottungsmentalität kritisiere, so geht es mir im Übrigen nicht darum, alle Grenzen unkontrolliert einfach zu öffnen. Das wäre tatsächlich untragbar. Mir geht es darum, dass wir stärker auf jene Stimmen zu hören, die seit Jahrzehnten in diesen Bereichen arbeiten – die Migrationsforschung hat schließlich schon Pläne und Konzepte entwickelt, die auch in Krisenfällen wie dem aktuellen legale und strukturierte Migration ermöglichen. Wir sollten nicht so tun, als müssten wir das Rad neu erfinden.

 

Warum funktioniert dann in Europa die Koordinierung und vor allem die Verteilung der Flüchtlingsströme nicht?

 

Ich glaube, es fehlt uns an Mut. Es fehlt den Politikern an Mut aufzustehen und zu sagen: Ich stehe für die Menschlichkeit. Natürlich ist das nicht einfach, natürlich macht uns die Situation Angst. Wenn man die Flüchtlingshilfe koordiniert durchplanen würde, würde es vermutlich noch ein bis zwei Jahre schwierig sein, aber es gäbe zumindest eine Vision für die nächsten Jahre – eine Vision aus Migration und Integration, die Angela Merkel nicht anzubieten hat, auch wenn ihr Satz "Wir schaffen das" sehr mutig und wichtig war.

 

Was wären Faktoren gelingender Integration von Flüchtlingen?

 

Die Faktoren sind bekannt – es geht vor allem darum, Begegnungsräume zu schaffen. Wo Menschen einander begegnen, nehmen Ängste ab und Menschen öffnen sich füreinander. Übersetzt in die Integrationsarbeit bedeutet das: Raus aus den Masseneinrichtungen, raus aus den Lagern – und hinein in die Individual-Unterbringung. Ich habe gesehen, wie sich Flüchtlinge mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, dass Zelte und Container in Reihen aufgestellt werden. Auf den ersten Blick erscheint das nebensächlich, aber am Ende ist es immer eine Frage der Menschenwürde.

 

Sie arbeiten immer wieder auch mit der Caritas zusammen. Wie erleben Sie diese Form kirchlicher Flüchtlings- und Entwicklungshilfe?

 

Die Kirchen haben in der akuten Flüchtlingshilfe im vergangenen Jahr fantastische Arbeit geleistet, zweifellos. Wenn es Caritas und Diakonie nicht gäbe, würde es hier ganz anders aussehen. Gleichzeitig muss man fragen: Ist es notwendig, dass wir solche Strukturen überhaupt haben müssen? Ist es nicht möglich, die eigentlich lächerlich geringe Zahl von 80.000 Flüchtlingen schneller sich selber versorgen zu lassen? Das muss doch auch hierzulande möglich sein! Humanitäre Hilfe ist da, um Nothilfe zu leisten. Wir müssen begreifen, dass humanitäre Hilfe nicht alles richten kann. Anders gesagt: Es kann tatsächlich sein, dass militärisches Eingreifen unter strengen Auflagen ein Faktor ist, der humanitärer Hilfe ermöglicht. Im Fall des IS scheint mir dieser Punkt erreicht zu sein.

 

Zuletzt eine persönliche Frage: Sie haben fast täglich mit dem Tod von Menschen zu tun – haben Sie selbst Angst vor dem Tod?

 

Ich wurde einmal überfallen und gefoltert. Seither habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Damals gingen mir allerdings auch alle anderen Leitplanken des Lebens verloren – alles war weg; und es hat Jahre gedauert, bis ich mich selbst wieder gefunden habe. Seither kann ich meine Ängste kontrollieren – anders geht es aber auch nicht, wenn man in Situationen gerät, in denen jede Sekunde eine Bombe unter den Füßen explodieren kann...

 

Das Interview führten Henning Klingen und Matthias Höllerbauer

 

Kilian Kleinschmidt, geboren 1962, hat unter anderem als Dachdecker, Ziegenhirte und Berater der österreichischen Regierung in Flüchtlingsfragen gearbeitet. Von 2013 bis 2014 war Kleinschmidt Manager des nordjordanischen Flüchtlingscamps Zaatari, das bis zu 100.000 Vertriebene beherbergte. Von 2015 bis 2016 hat er die österreichische Bundesregierung in Flüchtlingsfragen beraten. Inzwischen lebt der Vater von sechs Kindern in Wien, wo er die Agentur "Innovation & Planning" leitet.

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2017 | Ausgabe Mai/Juni 2017

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