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Ich habe einen Traum...

Eine angekündigte Utopie

Die biblische Botschaft gipfelt in der Vision vom Reich Gottes. Sie bestimmt das Handeln der Menschen im Alten Testament ebenso wie die Botschaft Jesu.

 

122-mal kommt diese Bezeichnung im Neuen Testament vor. 99-mal allein in den Synoptikern, wobei das Matthäusevangelium, wohl um der jüdischen Sensibilität gegenüber der Verwendung des Namens Gottes Rechnung zu tragen, häufig (insgesamt 29-mal) auch die Wendung „Reich der Himmel“ gebraucht. Trotz dieser Häufigkeit ist ziemlich unklar, was mit „Reich Gottes/Reich der Himmel“ gemeint ist. Die Evangelien entwerfen – wohl der Predigt Jesu folgend – weder eine Systematik, noch wollen sie Begriffe im Sinn einer Lehrmeinung definieren und erklären. Sie versuchen vielmehr Menschen zu bewegen, ja zu begeistern, indem sie Perspektiven aufzeichnen bzw. evozieren, die Wünsche, Hoffnungen und Träume Wirklichkeit werden lassen könnten.

 

Wenn die Vorstellung vom „Reich Gottes“ nicht näher erläutert wird bzw. das nur durch bildliche Darstellungen oder Gleichnisse geschieht, ist aber davon auszugehen, dass ein solches Vorgehen nur deshalb sinnvoll und zielführend war, weil offensichtlich ein breites, gemeinsames Vorverständnis bei den Zuhörern vorhanden war. Die Predigt Jesu aktualisiert dieses Vorverständnis, erklärt und modifiziert es, aber nichtsdestotrotz waren seine Vorstellungen den jüdischen Mitmenschen nicht ganz fremd. Jesus greift auf eine Vision zurück, die in den eschatologischen bzw. utopischen Auffassungen seiner Zeitgenossen tief verwurzelt war. Wurzel dafür waren zweifelsohne die Schriften der hebräischen Bibel.

 

Herrscher, König, Messias

Die Bezeichnung „Königsherrschaft Jhwhs“ kommt in der hebräischen Bibel lediglich sechsmal vor (Ps 103,19; 145,11–13; 1Chr 17,14; 28,5). Deutlich häufiger sind hingegen die Aussagen, die Jhwh als König darstellen und somit indirekt Hinweise zum Verständnis seines Königreiches liefern. Die wohl ursprüngliche Vorstellung eines antimonarchisch eingestellten Teiles des Volkes, der sich zu Gott als König bekannte und ihn als alleinigen Herrscher über die Schöpfung verehrte, ist im Alten Testament relativ weit verbreitet. Dieser Herrschaftsanspruch Gottes wird am deutlichsten im ersten Gebot des Dekalogs vermittelt (Ex 20,2), wobei es hier um einen Herrschaftswechsel geht: Israel steht nicht mehr unter der Herrschaft des Pharao, sondern Jhwhs, der es befreit hat.

 

Sie wird außerdem in prophetischen Schriften angekündigt (Jes 6,1–5; 33,17–22; 44,6) und in den Psalmen besungen (Ps 24,9–10; 93,1–2; 95,3). Das am häufigsten gebrauchte Bild sieht Gott als Herrscher auf dem Zion (Jes 24,23; 52, 7–9; Mi 4,7; Zeph 3,15; Sach 14,16–17), von dort wird er Israel – aber auch alle anderen Völker – regieren, er wird das Volk sammeln und den Tod für immer besiegen (Ez 20,33; Mi 2,12–13; Tob 13,1–17; Jes 25, 6–8). Gott wird schließlich einen endgültigen Sieg über das Böse feiern und alle Feinde vernichten, das somit hergestellte Reich Gottes wird ewig sein (Ps 146,10; Dan 4,11).

 

In späteren Texten kommt eine eschatologische Dimension hinzu, die manchmal auch messianische Züge beinhalten kann (2 Sam 7,12–16; Jes 11,1; Jer 33,15). In einem der jüngsten Bücher des Alten Testaments – dem Buch Daniel – wird gerade dieser Aspekt deutlich betont: Das Reich Gottes hat seinen Ursprung nicht in der menschlichen Welt und auch nicht in der gegenwärtigen Zeit (Dan 2,40.44; 3,54; 4,31; 6,27). Diese Vorstellung eröffnet schließlich eine Dimension, die außerhalb der menschlichen Wahrnehmung angesiedelt wird und dennoch als Motivation, Ansporn, Paradigma und Vorbild für die Bemühungen der Menschen dienen kann und wird.

 

Nicht von dieser Welt?

Aus der jüdischen Literatur der letzten beiden Jahrhunderte vor Christus, die in den biblischen Kanon nicht aufgenommen worden ist, aber das Denken zur Zeit Jesu dennoch entscheidend beeinflusst hat, stammen zahlreiche weitere unterschiedliche Vorstellungen vom Reich Gottes. Diese können zwar nicht auf einen gemeinsamen Nenner gebündelt werden, waren jedoch im Judentum zur Zeit Jesu allgemein verbreitet und koexistierten offensichtlich problemlos. Apokalyptische Einstellungen wie im Jubiläenbuch (1,15–18; 23–28), im Henochbuch (93,10; 91,12–17) oder in den Psalmen Salomos (insbesondere in Ps Sal 5,18) sind zwar typisch, sie bieten aber ein differenziertes Bild an. Während z. B. in den Liedern für die Sabbat-Liturgie (4Q 400–407) der Schöpfergott als König gepriesen wird, weil er Israel als sein Volk bestimmt hat, wird in Psalmen Salomos (17) die Vorstellung vertreten, dass das Reich Gottes von einem Messias aus dem Hause Davids errichtet wird.

 

In der Himmelfahrt Moses (10,1) und im Testament Daniels (5,10–13) hingegen wird das Reich Gottes erst etabliert, nachdem der Satan im Himmel endgültig geschlagen worden ist. Die Verwirklichung des Reiches Gottes beendet somit die gegenwärtige Unheilsgeschichte und führt eine dauerhafte Heilszeit ein. Viel öfter wird allerdings die Veränderung der irdischen Zeit betont, in der sich das Königreich Gottes offenbaren wird, wobei die Errichtung des irdischen Reiches parallel zur Herstellung des himmlischen Reiches beschrieben wird.

 

Die Etappen der Realisierung des Reiches Gottes können in einem dreigegliederten Prozess zusammengefasst werden: (1) Zunächst wird der Satan im Himmel besiegt, sodass sich das Volk Israel auf der Erde ebenfalls frei von allen Feinden und unterdrückenden Mächten entfalten kann; (2) Israel wird in der Folge als heiliges Volk versammelt, die Zugehörigkeit zum Volk bildet die Voraussetzung für das Heil; (3) eine neue Welt wird errichtet, in der die Menschen in Frieden, Gerechtigkeit und Reinheit leben werden.

 

Das Neue der Botschaft Jesu

Auf diesen im Judentum verbreiteten Visionen und Träumen einer besseren Welt baut die Verkündigung Jesu vom Reich Gottes, die allerdings eine ganze Reihe neuer und innovativer Aspekte betont. Insbesondere werden mit dem Begriff „Reich Gottes“ Vorstellungen des eschatologischen Heils zusammengefasst.

 

Aufgrund der Adressaten dieser Botschaft – meistens Arme, Entrechtete und Randgruppen der damaligen Gesellschaft – wird dennoch deutlich, dass Eschatologie keine Vertröstung auf eine bessere Zukunft in einer himmlischen Welt meint, sondern eine ganz konkrete politische und soziale Botschaft für das Diesseits beinhaltet. Die Realisierung des Reiches Gottes hängt damit zusammen, dass alle irdischen Nöte des Menschen – die in der Verkündigung Jesu auch deren „Sündhaftigkeit“ betreffen – hinweggenommen werden.

 

Im „Vater Unser“ wird die Bitte um das Kommen des Reiches Gottes mit der Vorstellung der Verwirklichung des Willens Gottes, aber auch mit der der sozialen Versorgung der Menschen dank der Gabe des täglichen Brotes verbunden. Weil aber der Satan schon vom Himmel gestürzt ist (Lk 10,18), ist die eschatologische Wende bereits vollzogen und die Exorzismen – möglicherweise die einzigen vom historischen Jesus vollbrachten Wunderheiligungen – stellen das Sinnbild für das Anbrechen des mit dem Reich Gottes verbundenen Heils in der irdischen Gegenwart dar.

 

In dieser Verkündigung fasst der historische Jesus den Traum und die Vision von einer Zeit und einem Ort – aber auch einem Zustand – zusammen, wo Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit und schließlich das Evangelium herrschen werden. Die Realisierung dieser Vision hat er dennoch nicht zur Gänze vollzogen. Sie ist daher dem Einsatz eines jeden Menschen anvertraut.

 

Simone Paganini

 

Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe Jänner/Februar

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