Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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Weil wir mit Scheitern oft verbinden, dass wir einen Fehler gemacht haben, dass wir uns getäuscht haben. Wir befürchten, vor den anderen schlecht dazustehen, abgestempelt zu werden als Gescheiterte, die es nicht geschafft haben.
Es besteht die Gefahr, dass wir uns nicht unserer Wirklichkeit stellen, zu der auch Krisen und Scheitern gehören, dass wir über Konflikte hinwegschauen, sie gegebenenfalls auch schönreden. Das aber hat zur Folge, dass wir nicht mit einem Scheitern rechnen und damit einhergehend auch keine Strategien entwickeln, wie wir damit umgehen, wenn wir scheitern. Wir nehmen uns damit die Chance, eine Art Krisenkompetenz zu entwickeln, die mit der gelungenen Bewältigung von Scheitern einhergeht.
Es sind vor allem Menschen, die – um den Begriff der Resilienz aufzugreifen –Stehaufmännchen-Kompetenz haben, die flexibel mit schwierigen Situationen umgehen können. Sie geraten nicht gleich in Panik, wenn ein Problem auftaucht, stecken aber auch nicht den Kopf in den Sand. Es sind Menschen, die in schwierigen Situationen die ihnen zur Verfügung stehende Kreativität, Energie so nutzen können, dass sie weiterhin das Steuerrad in der Hand behalten und sich nicht einfach von den äußeren Gegebenheiten davontragen lassen.
Scheitern bringt oft die Erfahrung mit sich, dass wir zugrunde gehen in dem Sinne, dass wir unser Leben, unsere Perspektive vom Leben nicht länger nur auf äußere Gegebenheiten wie unsere Beziehungen oder unseren gesellschaftlichen Status gründen, sondern in der Erfahrung des Zugrundegehens dessen, was uns bisher getragen hat, mit unserem eigentlich Grund in Berührung kommen. Wir werden dadurch geerdet und schaffen so ein solideres Fundament für neue Beziehungen, neue Lebensprojekte, die dann aber wirklich mehr von uns selbst abgedeckt sind.
Ich kann in meinem Scheitern möglicherweise auch einen Fingerzeig Gottes sehen, der mich in die Krise geschickt hat, weil mein Leben nicht der mir eigentlich zukommenden Bestimmung gemäß verläuft, weil ich mich verrannt habe. Bei der Bewältigung der Krise kann mir das Vertrauen helfen, dass bei allem, was ich selbst tun muss, ich neben den mir eigenen Kräften und der Unterstützung durch andere auch mit der Unterstützung durch eine höhere Macht, mit Gott, rechnen darf.
Krisen tragen dazu bei, dass nicht alles geradlinig in unseren Leben verläuft. Sie hinterlassen Kerben, machen aus einem „man“ ein Ich, indem sie helfen, dass durch die Erfahrung der Krise sich zunehmend das in mir herauskristallisiert, was wirklich zu mir gehört. Darüber hinaus können sie dazu beitragen, mit dem mir eigentlich vorhandenen Potenzial, das ich einfach brauche, will ich eine Krise meistern, noch mehr in Berührung zu kommen. Da ich in solchen Situationen oft auch körperlich und seelisch so angeschlagen bin, mir der Boden unter den Füßen wegrutscht, ist es gut, in dieser Zeit Menschen zu haben, die mir im übertragenen Sinn Boden geben, die mir über die schwierige Zeit hinweghelfen.
Wichtig ist hier, dass man erkennt, dass man sich in die Opferrolle begeben hat, in die Position des Ohnmächtigen, und dann auch glaubt, nicht reagieren, sich nicht wehren, das Leben nicht in die Hand nehmen zu können. Dazu bedarf es manchmal der Konfrontation durch andere, die ich dann eher annehmen kann, wenn ich merke, dass die andere Person mir Gutes will. Am Ende aber braucht es manchmal einfach die Erfahrung, dass ich so nicht weiterkomme und – um ein Bild aus der Bibel zu nehmen – aufstehen, das Heft in die Hand nehmen und losgehen muss.
Zunächst einmal kann ein Rahmen wie eine Ehe helfen, da sie für Verbindlichkeit steht, ich damit zum Ausdruck bringe, dass ich mich für einen Rahmen entscheide, der zwar auch eine Einengung bedeuten kann, zugleich damit aber auch ein Bekenntnis zum andern zum Ausdruck bringe. Weiters ist es wichtig, dem Partner mit Empathie zu begegnen, immer wieder auch zu versuchen, ihn zu verstehen, sich in ihn einzufühlen. Schließlich ist es auch wichtig, Konflikte nicht unter den Teppich zu kehren, sich ihnen zu stellen, ohne sich jetzt darauf zu fixieren. Je klarer mir ist, wer ich bin und was ich will, und das dann auch in meiner Entscheidung zu einem anderen Menschen zum Ausdruck kommt, desto größer kann die Chance sein, dass eine Beziehung hält und auch durch schwierige Phasen trägt, weil dann tatsächlich ich dahinterstehe, ich die Entscheidung getroffen habe, als einer oder eine, der/die sich wirklich kennt.
Ja, so sehe ich das, und ich kann es auch vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen als jetzt 65-Jähriger sagen. Krisen und Scheitern können uns überfordern, können aber auch, wenn wir sie als eine Chance verstehen, unser Leben bereichern, vertiefen, dazu beitragen, dass wie immer mehr die werden, die wir werden sollen. Der Mystiker Thomas Merton sagte einmal: Heiligkeit bedeutet, der und die zu werden, zu denen wir berufen und bestimmt sind, und wer nicht er oder sie selber wird, hat nicht gelebt. Der Weg dahin ist in der Regel mit Krisen und Scheitern verbunden, wird dabei aufgebrochen werden, um das, was in uns, in unserem Tiefsten ist, zu sehen und für unser Leben zu nutzen, um so ganz – ein anderes Wort für heilig – zu werden.
Flexibel ist hier verstanden im Unterschied zu statisch. Flexibel meint weiter, immer wieder auch Neues zuzulassen, sich neuen Entwicklungen zu stellen, nicht zu sagen, weil es immer so war, muss es auch immer so sein. Flexibel meint schließlich, aus der Situation heraus agieren zu können, das verlangt aber oft, sich von alten Denkmustern zu befreien, die Flexibilität verhindern. Jemand hat einmal gesagt, nur wer sich ändert, bleibt sich treu. Wir sind nicht einfach fertig, wir befinden uns ständig in einem Prozess, um immer mehr die zu werden, die wir werden sollen. Auch um diesen Prozess zu fördern, der uns schließlich zur Vollendung führt, bedarf es der Flexibilität.
Indem sie, so sehr sie auch im Rahmen der Erziehung Vorgaben geben, darauf vertrauen, dass den Kindern eine Eigendynamik zu eigen ist, die sich, wenn ihnen der entsprechende Freiraum gegönnt wird, dann auch entsprechend positiv entwickeln kann. Kinder entwickeln und entfalten vieles aus der Erfahrung der Frustration heraus, die sie gewissermaßen zwingt, sich etwas einfallen zu lassen, um die Frustration zu beseitigen. Es fängt schon damit an, dass sie auf diese Weise das Laufen erlernen.
Das Interview führte Elisabeth Grabner
Dr. Wunibald Müller, Studien der Theologie und Psychologie, ist seit 1991 Leiter des Recollectio-Hauses in Münsterschwarzach. Diese Einrichtung versteht sich als Angebot für Priester, Ordensleute und kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die im spirituellen Ambiente der geistlichen Gemeinschaft der Benediktiner innehalten, über ihr Leben nachdenken und neue Kraft für ihr berufliches und persönliches Leben schöpfen wollen.
Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe März
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