Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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Dieses Gedicht habe ich 2006 im Krankenhaus geschrieben nachdem ich aus dem künstlichen Tiefschlaf erwacht war. Meine Zukunft schien ungewiss. Die Ärzte wussten nicht, ob ich wieder bei meiner Familie leben oder überhaupt jemals wieder im Rollstuhl werde sitzen können. In meinem Hals steckte eine Atemkanüle und ich musste mit einer Beatmungsmaschine leben lernen. Auch sprechen konnte ich nicht. Doch ich übte und übte und mit den ersten Worten, die ich hervorbrachte, diktierte ich meiner Persönlichen Assistentin das Gedicht "Abschied".
Frankl als großes Vorbild
In meinem Leben hatte ich schon oft mit Verlusten zu kämpfen gehabt, aber es gelang mir, sie doch immer wieder auch zu Gewinnen zu machen und das gab mir Hoffnung, dass es mir auch diesmal, 2006, gelingen würde.
Viktor Frankl, der als KZ-Häftling ums Überleben kämpfte, stellte fest, dass jeder Mensch stets zwei Möglichkeiten der Entscheidung habe. Man kann sich dem Schicksal ergeben oder die Zukunft selbst in die Hand nehmen. Ihm gelang zweiteres, indem er sich während seiner Zeit im Konzentrationslager vorstellte, wie er später in hellen und geheizten Sälen philosophische Vorträge halten würde. Viktor Frankl ist mein großes Vorbild. In Krisenzeiten hilft mir mein Glaube an ein gutes Ende wie auch mein Glaube an Gott und die Gewissheit, dass ich "von guten Mächten wunderbar geborgen" bin, wie es Dietrich Bonhoeffer so schön formulierte.
Schon im Babyalter, als die Lähmung an den Beinen plötzlich auftauchte, dachten viele, dass ich aufgrund meiner Behinderung kein glückliches Leben führen werde. Was müssen sich diese jetzt erst von mir denken – halsabwärts gelähmt, im Rollstuhl, mit Beatmungsgerät, 24h-Begleitung? Besonders Mutige fragen mich, wie ich so glücklich sein könne. Viele denken es sich wahrscheinlich, wenn ich an so manches verwunderte Gesicht denke. Auch höre ich öfters, dass sie an mich und mein Leben dächten, wenn es ihnen schlecht geht. Weil sie dann beruhigt sein können, dass es anderen – mir – noch schlechter geht als ihnen?
Zum Glück herausgefordert
Ich habe ein Mut-Buch geschrieben, um andere an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen. In meinem Buch erzähle ich, wie ich die Herausforderungen des Lebens annehme und so mit einer gewissen Leichtigkeit durchs Leben rolle. Ein Buch, das Ihnen Mut machen möchte, Ihr Leben zu wagen und an Weggabelungen den vielleicht anstrengenderen, aber lohnenderen Um-Weg zu wählen. Denn vergessen Sie nicht: Eine Schildkröte kann Ihnen mehr über den Weg erzählen als ein Hase. Lebenswenden fordern uns zum Glück heraus! |
Abschied
Als Kind waren meine Beine plötzlich gelähmt. Ich weinte, und verstand Gott und die Welt nicht mehr. Da sprach Gott: Ich nehme Dir die Kraft der Beine und schenke Dir die Langsamkeit. So entdeckte ich eine neue Welt, langsam am Boden kriechend.
Als Jugendlicher konnte ich plötzlich nicht mehr mit Krücken gehen. Ich weinte, und verstand Gott und die Welt nicht mehr. Da sprach Gott: Ich nehme Dir die Kraft in den Armen und schenke Dir dafür Witz und Ironie. So entdeckte ich im Rollstuhl eine neue Welt und brachte die Leute auf der Kabarettbühne zum Lachen.
Jahre später konnte ich weder Arme noch Beine bewegen. Ich weinte, und verstand Gott und die Welt nicht mehr. Da sprach Gott: Je weniger Du Dich bewegst, desto mehr bewegst Du. So begann ich die Welt ein wenig zu verändern und wurde Politiker.
Heute kann ich plötzlich nicht mehr ohne Maschine atmen. Ich weine, und verstehe Gott und die Welt nicht mehr. Da schweigt Gott. Noch… |
Franz-Joseph Huainigg
Dr. Franz-Joseph Huainigg ist Autor, Medienpädagoge und Abgeordneter zum Nationalrat sowie Sprecher für Menschen mit Behinderung und Sprecher für Internationale Zusammenarbeit der ÖVP
» BUCHTIPP
"Mit Mut zum Glück. Das Leben wagen", Verlag Ueberreuter, Wien, 2016, ISBN-10: 3800076454, Gebundene Ausgabe: 180 Seiten, EUR 19,99, Kindle Edition: EUR 16,99 |
Erschienen in: "miteinander" | Jahrgang 2016 | Ausgabe Dezember
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