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Aus dem neuen »miteinander«

Alles neu in zehn Tagen

Selbstversuch

Je älter ich werde, desto schneller zieht das Leben an mir vorbei. Zumindest fühlt es sich so an: Mir kommt vor, ich habe schon vieles erlebt, und kaum etwas kann mich noch überraschen. Mit einem Selbstexperiment will ich das ändern. Jetzt wird zehn Tage lang außergewöhnlich gelebt! 

Von Ines SCHABERGER

miteinander 1-2/2025

 

Was könnte ich tun, damit mein Leben außergewöhnlicher wird?“, tippe ich in das Suchfeld der künstlichen Intelligenz ChatGPT ein. Nie um eine Antwort verlegen, liefert mir die künstliche Intelligenz sofort ein paar Ideen: Ich solle neue Erfahrungen machen und zum Beispiel an einen ungewöhnlichen Ort reisen oder mich in eine mir unbekannte Kultur vertiefen; neue Projekte entwickeln, die mich herausfordern, sowie eine „radikale berufliche oder persönliche Veränderung“ anstreben. Ganz schön viel auf einmal. Schnell verwerfe ich diese großen Pläne, die mein Leben auf den Kopf stellen würden. Ich beschließe, klein anzufangen und im Alltag nach außergewöhnlichen Aktionen zu suchen.

 

Tag 1–4: Auf abenteuerlichen Wegen
Spontan besuche ich eine Freundin in Tirol. Wir arbeiten beide im Homeoffice und in der Mittagspause beschließen wir, in einer Berghütte essen zu gehen. Den schnellsten und sichersten, weil asphaltierten Weg dorthin kennt meine Freundin in- und auswendig, doch als wir an einer Weggabelung stehen, plädiere ich dafür, den ihr unbekannten Weg zu wählen.
Auf einem verschlungenen Pfad wandern wir an Farnen, Moos und Bäumen vorbei, hören Vogelgezwitscher und kommen schließlich schneller zur Berghütte, als gedacht. Ich fühle mich frei, verwegen und bin stolz darauf, meine Freundin zu einer außergewöhnlichen Wanderung angestiftet zu haben. In den nächsten Tagen verteile ich Komplimente an alle Menschen, die mir begegnen, gönne mir eine Portion Eiskaffee, gekrönt von einem Berg Schlagobers, mitten unter der Woche (gute Idee!) und koste Fenchel-Ragout (keine gute Idee!). Mir jeden Tag neu zu überlegen, was ich Außergewöhnliches tun könnte, lässt mein Leben bereits viel aufregender werden.

miteinander-Magazin 1-2/25

Tag 4–5: Katastrophenmodus
Wegen schwerer Regenfälle wird meine Heimat Niederösterreich zum Katastrophengebiet erklärt. Ich selbst stecke in Wien fest und verfolge gebannt die Nachrichten. In diesem Ausnahmezustand, in dem mich die Sorge um Familie und Freunde kaum schlafen lässt, sehne ich nur eine Sache herbei: Normalität. Warum habe ich mir nur je gewünscht, ein außergewöhnliches Leben zu führen? Auf mein Selbstexperiment vergesse ich.


Tag 6–10: Neue Normalität
Langsam beruhigt sich das Wetter. Ich wage mich wieder außer Haus und schätze
plötzlich, was mir vor den Katastrophentagen bals selbstverständlich erschien: spazieren zu gehen, ohne, dass der Wind den Regenschirm umknickt, Zug zu fahren, geliebte Menschen zu treffen. Denn in der Sorge um mir nahestehende Personen erahnte ich: Es sind die Beziehungen, die das Leben außergewöhnlich machen. In den nächsten Tagen fahre ich mit der U-Bahn eine Station weiter als nötig und versuche, den Weg zu meinem Ziel ohne Navigations-App meines Smartphones zu finden. Einen Nachmittag lang werfe ich an jeder Straßenkreuzung eine Münze und entscheide je nach Kopf oder Zahl, ob ich rechts oder links abbiege. So lande ich bei einer Kirche, deren Fußboden mir besonders schön vorkommt, weil die Kirchenfenster rot-blau-gelbe Muster darauf werfen. Zum Abschluss meines Selbstexperiments besuche ich ein Konzert bei Kerzenschein in einem Kellergewölbe. Außergewöhnlich ist nicht nur die Beleuchtung, sondern auch, dass die Pop-Songs berühmter
Bands von einem klassischen Streichquartett dargeboten werden. Während ich mit den Zehen zu „Viva la vida“ von Coldplay wippe, atme ich tief durch und denke darüber nach, wie schnell es gehen kann, dass das Leben aus den Fugen gerät. Und warum ich erst dann mein Leben schätze, wie es meistens ist: ziemlich gewöhnlich und gerade deshalb so schön.


miteinander-Magazin

Ines Schaberger

hat Religionspädagogik und Theologie in Wien, Fribourg und Chur studiert. Die Journalistin ist Gastgeberin des Fadegrad-Podcast, Wort zum Sonntag-Sprecherin im Schweizer Fernsehen und miteinander-Redaktionsmitglied. Sie liebt Berge, Kaffeehäuser und Fragen-Stellen. 

 

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