Mag. Lukas Cioni
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miteinander 1-2/2026
Herr (designierter) Erzbischof, Ihre Entscheidung, dem Ruf auf den Wiener Bischofsstuhl nachzukommen, liegt eine Weile zurück. Dennoch: Kam der Ruf für Sie überraschend?
Ja, auf jeden Fall. In den letzten Monaten als Administrator, als Verwalter der Erzdiözese, hat mich überrascht, dass es bei sehr vielen Menschen eine Erwartungshaltung gab: „Bitte übernimm diese Aufgabe!“ Auch der Apostolische Nuntius hat mir in unseren Gesprächen nahegelegt: „Überlegen Sie doch: Wenn sich das so viele und auch der Papst wünschen – warum sagen Sie ‚Nein‘?“
Ich habe ja nicht „Nein“ gesagt zu dieser Aufgabe, weil ich das einfach nicht wollte, sondern aus großem Respekt vor diesem hohen Amt und auch vor den großen Herausforderungen, dem Anforderungsprofil. Ich habe aber gelernt, Gott braucht mich nicht perfekt, sondern verfügbar.
Und dann habe ich auch aus vollem Herzen „Ja“ sagen können zu dieser Aufgabe. Ich wünsche mir und ich hoffe, dass ich als Bischof der Erzdiözese Wien nicht im Management und in reinen Verwaltungsaufgaben aufgehe, sondern dass ich weiterhin Seelsorger bleiben, nahe bei den Menschen sein kann.
Gehen wir noch einen Schritt in Ihrer Biografie zurück: Führte Sie so etwas wie ein „Berufungserlebnis“ zum Priesteramt?
Nicht im Sinne einer plötzlichen Erkenntnis oder Einsicht. Der Wunsch ist bei mir langsam, aber stetig gewachsen. Ich hatte in meiner Kindheit als Ministrant schon immer eine Faszination für Liturgie, für Kirche, für Kirchenmusik. Die eigentliche Berufung hat sich erst nach der Matura und in den Jahren des Theologiestudiums entwickelt. Die letzte Entscheidung ist in meinem Auslandsjahr in Würzburg gefallen, wo ich auch in einer Pfarre mitarbeiten durfte. Da habe ich gesagt: „Das ist meine Berufung: Ich möchte in der Kirche für die Menschen und für Christus arbeiten.“ Und als ich dann von Würzburg zurückgekommen bin, hat es mich noch einmal bestärkt, als ich gefragt wurde, Zeremoniär von Weihbischof Krätzl (1931–2023) zu werden. Ich war dann zwei Jahre mit ihm unterwegs, auch bei vielen Pfarrbesuchen, und habe auch sehr viele Kontakte mit Pfarrgemeinden und Menschen gehabt – und da ist noch einmal klarer geworden: Das ist mein Weg, als Priester bei den Menschen zu sein und Kirche zu leben.
Als Bischof kommt Ihnen künftig auch die Aufgabe zu, die seelsorgliche Versorgung sicherzustellen. Gibt es bereits Überlegungen, wie Sie die geistlichen Berufungen fördern wollen?
Da muss man auf vielen Schienen fahren. Also im Blick auf Priesterberufe muss sich jeder Priester fragen lassen: Wie begeisternd, wie überzeugend lebe ich als Priester? Was vermittle ich mit meinem priesterlichen Dienst? Spricht aus diesem Zeugnis Frust oder Freude? Mich beschäftigt diesbezüglich sehr das Wort des heiligen Franziskus, der seine Brüder ausgesendet hat mit dem Auftrag „Verkündet das Evangelium, wenn nötig mit Worten“. Das heißt, mein Leben ist eigentlich die beste Verkündigung und hoffentlich somit auch eine Werbung und anziehend für all jene Menschen, die überlegen, ob sie diesen Weg gehen können.
Aber wir dürfen natürlich bei der Sorge um die geistlichen Berufungen auch die Laien nicht vergessen: Wir brauchen qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ein authentisches spirituelles Leben führen, die in Freundschaft zu Christus leben. Hier können, ja, müssen wir als Kirche mehr tun, um diese Formen der Berufung zu fördern und ein ansprechender Arbeitgeber zu sein.
Wie wollen Sie der Gefahr des Klerikalismus gerade unter jüngeren Priestern und Priesteramtskandidaten entgegentreten?
Da ist natürlich vor allem die Ausbildung in den Priesterseminaren wichtig. Ich persönlich bin geprägt worden durch meinen Spiritual im Priesterseminar, mit dem ich in den fünf Jahren, in denen er mich begleitet hat, fast ausschließlich über das Christsein geredet habe. Nicht über das Priestersein, sondern über das Christsein! Das ist meines Erachtens die Basis für alles andere: Der Priester muss in erster Linie ein Christ sein und sich bewusst sein, dass er als Teil des Volkes Gottes ein Bruder für viele Brüder und Schwestern ist. Er übernimmt einen Dienst.
Nehmen wir etwa die verschiedenen Weihestufen – die Diakonenweihe, die Priesterweihe, demnächst für mich die Bischofsweihe. Wenn man diese als Stufen erachtet, die hinaufführen, so ist man, glaube ich, schon auf dem falschen Weg. Ich sehe die Weihestufen in der Kirche eigentlich als Stufen, die hinunterführen. Jesus hat eine „Karriere nach unten“ gemacht, nicht nach oben! Und wenn ich meine, anderen Menschen aufgrund meiner Weihe nicht mehr auf Augenhöhe, sondern von oben herab zu begegnen, dann ist da etwas falsch gelaufen.

Josef Grünwidl
ist ernannter Erzbischof von Wien. Grünwidl wurde 1963 in Hollabrunn/NÖ geboren. 1981 trat er ins Wiener Priesterseminar ein, studierte Theologie an der Universität Wien und belegte das Konzertfach Orgel an der Musikuniversität. 1988 wurde er von Kardinal Franz König zum Priester geweiht. Es folgten Tätigkeiten als Kaplan in Wien-Sankt Johann Nepomuk, Kurat an der Dompfarre Wiener Neustadt und Diözesanjugendseelsorger. Von 1995 bis 1998 war er Sekretär von Erzbischof Christoph Schönborn und folgend Pfarrer in Gemeinden des südlichen Niederösterreich, wie Kirchberg am Wechsel, Feistritz, St. Corona und Trattenbach. 2007 wurde er Dechant, ab 2014 Pfarrer von Perchtoldsdorf. 2016 folgte die Wahl zum geschäftsführenden Vorsitzenden im Wiener Priesterrat, 2023 die Ernennung zum Bischofsvikar für das Vikariat Süd, 2024 zum Ehrenkanoniker des Stephansdoms. Am 24. Jänner 2026 wird Grünwidl von Kardinal Schönborn zum Bischof geweiht.