Mag. Lukas Cioni
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miteinander 11-12/2024
Die Welt blickt gespannt nach Washington, D.C.: Am 5. November 2024 stehen die Präsidentschaftswahlen auf dem Programm. Diese werden wohl nach den Turbulenzen rund um Joe Bidens Wiederkandidatur bzw. das Ausscheiden alternativer Kandidaten nun endgültig auf ein Zwei-Personen-Rennen zwischen Donald Trump und Kamala Harris hinauslaufen. Neben den wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen Herausforderungen, die mit dieser Wahl alle vier Jahre einhergehen, spielt jedoch auch Religion gerade in den USA eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Für internationale, besonders aber für europäische Beobachter nicht einfach nachzuvollziehen, stellt Religion in der öffentlichen Wahrnehmung innerhalb der Vereinigten Staaten immer noch eine zentrale Größe dar – daran haben auch die starken Säkularisierungsschübe seit den 1990ern nichts geändert: Religion ist auch 2024 ein konstitutiver Teil des „Rennens um das Weiße Haus“, wenngleich sich dieser Befund in der hochkomplexen und vielfältigen Religionslandschaft der USA äußerst vielschichtig darstellt. Warum jedoch ist das so? Warum konnte Religion jenseits des „großen Teiches“ auch im 21. Jahrhundert eine solche Stellung bewahren? Wieso ist das religiöse Leben in „God’s Own Country“ offenbar pulsierender als in anderen Teilen der westlichen Welt?
Markt der Religionen
Zahlreiche Gründe dafür liegen natürlich in der Vergangenheit: Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden nicht zuletzt als ein sehr junges Projekt aus der sprichwörtlichen Taufe gehoben. Als der Staat im 18. Jahrhundert begann, sich von den europäischen Kronländern loszusagen und die politische Selbstständigkeit durchzusetzen, waren die 13 Kolonien, die später den neuen Staatenbund bilden sollten, bereits höchst divers: Puritaner, Lutheraner, Calvinisten, Katholiken, Baptisten, Juden, Anglikaner und noch viele weitere machten die Gesellschaft bereits zu einem wahren Konglomerat weltanschaulicher Bekenntnisse. Die politischen Vertreter (Gründerväter), die das neue Land mit Verfassung, Rechtsrahmen und politischem System entwerfen wollten, standen vor einer grundsätzlichen Gretchenfrage: Wie geht man mit dem höchst emotionalen und brisanten Thema Religion um, wenn man weder eine bevorzugen noch andere unterdrücken will? Ihre Antwort war recht einfach: Man fasst das Problem gar nicht erst an („Hands-Off-Policy“).
In den USA wurden letztlich 1789 mit der „Bill of Rights“ im ersten Verfassungszusatz die Religionsfreiheit und die Trennung von Kirche und Staat bis heute gültig festgeschrieben: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, um eine bestimmte Religion als alleingültig einzusetzen, noch darf er eine freie Ausübung eines Bekenntnisses unterbinden.“ Mit dieser einfachen, aber wegweisenden Formulierung wurde in den USA quasi ein „Markt der Religionen“ ermöglicht: Kirchen bekommen keinerlei staatliche Förderungen, sie sind selbst für ihre Existenz und ihr Fortbestehen verantwortlich. Zugleich können sie ihre Botschaften in der Öffentlichkeit so platzieren, dass sie möglichst viele Menschen für ihre Sache gewinnen können. Das Resultat war ein sprunghafter Anstieg neuer Gemeinschaften (etwa der „Mormonen“ [LDS-Church], der „Zeugen Jehovas“ oder in jüngerer Zeit „Scientology“).
Gott macht Politik
Aufgrund dieser Präsenz im öffentlichen Raum, aber auch bei vielen Menschen, Familien, nichtstaatlichen Institutionen, wird deutlich: Religion ist in der gesellschaftspolitischen Ordnung der USA nicht einfach „Privatsache“, wie das im Europa der Aufklärung nach den großen Religionskriegen bzw. dem Untergang der mächtigen Monarchien definiert wurde. Es gibt eine deutlich geringere Hemmschwelle, religiöse Themen in der Öffentlichkeit anzusprechen, für viele gehört dies sogar zu einem authentischen Bekenntnis, zu einer glaubwürdigen Haltung dazu – weshalb gerade in den politischen Auseinandersetzungen immer auch auf den persönlichen Glauben von Kandidaten und Amtsträgern geschaut wird. In den USA könnte man pointiert formulieren: „Gott macht Politik.“ Genauer gesagt: Die unterschiedlichsten Gottes-, Menschen- und Weltbilder finden ihren Weg einfacher und selbstverständlicher in die
Öffentlichkeit – wo sie nicht selten frontal aufeinandertreffen. Und hier stehen wir im Herbst 2024. Nicht zuletzt mit der Befürchtung, dass der Wahlkampf zwischen Donald Trump und Kamala Harris auch in religionspolitischer Hinsicht mit harten Bandagen geführt werden wird.
Dr. Andreas G. Weiß
ist Theologe, Autor und seit September Direktor des Katholischen Bildungswerkes Salzburg.
Buchtipp
Andreas G. Weiß: Kirche braucht Bildung. Ein Plädoyer. Herder: 2024, ISBN: 978-3-451-39735-6, 18,00 €