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Aus dem neuen »miteinander«

Ganz Ohr, ganz Auge, ganz Sinn

Essay von Roman A. Siebenrock

„Jetzt hör mir doch einmal wirklich richtig zu!“ Notschrei und nachdrückliche Aufforderung in einem meldet sich in dieser Bitte zu Wort. Warum muss bisweilen so gemahnt werden?
Von Roman A. SIEBENROCK

miteinander 5-6/2023

Ganz Ohr, ganz Auge, ganz Sinn

Hören geschieht. Das Ohr ist nicht abzuschalten. Auch nachts nehmen wir Geräusche wahr. Das Ohr bleibt „wach“, Gefahrenmelder Nummer 1. Weil wir das Ohr nicht schließen können, hat unser Organismus und haben wir selbst Techniken entwickelt, die permanente Information, die das Hören liefert, zu filtern oder gar auszublenden. Wer lange genug an einer belebten Straße gewohnt hat, hört die Verkehrsgeräusche mkaum noch, auch wenn ein Hintergrundbrummen bleibt. Wer einmal in Sorge um ein Kind eingeschlafen ist, hat erfahren, wie er bei bestimmten Tönen aufgeschreckt wurde. Wie oft können wir uns dabei ertappen, dass wir in Gespräche mit Menschen, die immer die gleichen Erzählungen zum Besten geben, abschalten.

"Ich lasse den anderen mir zu Herzen gehen, ja schließe ihn in mein mHerz und trage ihn mit."

Wir blenden aus, sind wohl noch präsent, aber nicht da, weil wir durch Gewohnheiten Techniken entwickelt haben, die sich bisweilen automatisch, quasi wie eine zweite Haut, einstellen. Deshalb kann es vorkommen, ja es ist wohl öfter notwendig, dass uns jemand zu wirklichem Hören, d. h. zum Horchen, auffordert. Eine andere Person erwartet meine ganz Aufmerksamkeit, möchte, dass ich ganz Ohr werde und in mir aufnehme und wirken lasse, was sie mir jetzt mitteilen muss und will. „Ganz Ohr“ – ein schönes Bildwort, durch das ausgedrückt wird, dass der Hörende ganz beim anderen ist, ja selbstvergessen und ohne Filter den anderen wahrzunehmen bereit ist. Solches Hören ist geistig-kommunikative Gastfreundschaft, durch die die andere Person ganz bei mmir da sein darf. Ich lasse den anderen mir zu Herzen gehen, ja schließe ihn in mein mHerz und trage ihn mit.

 

Höre, Israel!

Ein solches Horchen, ein solches „Ganz- Ohr-Werden“ möchte das Glaubensbekenntnis Israels bewirken: „Schema Israel“ m(Dtn 6,4). Wer so „ganz Ohr geworden ist“, wer sich so ganz dem Wort der anderen Person schenkt, verwirklicht schon, was der Nachsatz scheinbar als Bekenntnis und Aufforderung ausdrückt: „Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig. mDarum sollst du den HERRn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,4-5). Wer so horcht, für den ist die andere Person einzig. Wer so horcht, so
präsent und ganz auf den anderen ausgerichtet ist, liebt. Er will, dass der andere
ist, dass er ist, wie er ist. So zu horchen ist unbedingte Bejahung. Dass wir das immer wieder neu gegen die Gewohnheit und eine fast schon biologisch gewordene Abwehrtechnik lernen müssen, weiß die Schrift, weil sie danach verschiedenste Erinnerungstechniken einführt, die wie eine zweite Haut unsere Haltung prägen sollten. Wer so horcht, erfährt, dass er durch das ihn treffende und meinende Wort wird. Dass er und alle in dieser „Horch-Gmeinschaft“ „Geschöpfe des Wortes“ (M. Luther) sind. Das ist nicht nur eine Weisheit des Glaubens, sondern eine Erkenntnis unserer eigenen Geschichte, eine selbstverständliche Einsicht in die eigene Entwicklung und Sozialisierung. Bevor wir sprechen können, sind wir bereits in eine Sprachgemeinschaft hineingenommen. Bevor wir unseren eigenen Namen als unseren Namen verstehen konnten, sind wir unzählige Male beim eigenen Namen gerufen worden. Wir sind in eminenter Weise „Geschöpfe des Wortes“.

"Ganz Ohr, ganz Auge, ganz Sinn: In solchen seltenen Augenblicken erfahren wir mitten unter uns das innigste Geheimnis des dreieinen Gottes: Weil Du bist, bin ich. Ich bin nur, weil wir sind."

Vom Hören zur Begegnung
Doch Worte sind nicht alles. Auch Menschen, die von Geburt an oder durch Unfälle ihr Gehör nicht ausbilden konnten oder es verloren haben, können in dieser umfassenden Kommunikationsgemeinschaft sein, gedeihen und wachsen. Deshalb ergänzt der erste Johannesbrief das „Schema Israel“ durch alle Sinne, die Begegnung ermöglichen: „Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben vom Wort des Lebens - … was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir euch“ (1 Joh 1,1–3). Hören ist nur eine Form der Aufmerksamkeit und Ausrichtung auf die andere Person. Berührt werden, sehen, schmecken und riechen; auch dadurch wird Begegnung.
Begegnung in ihrer Vollendung aber besagt Gastfreundschaft für eine andere Person, meint Hingabe, selbstvergessene Aufmerksamkeit. Von Maria wird nicht nur solches Hören erzählt, sie ergänzt ihr Hören durch Ihr Erwägen im Herzen (Lk 2,19.51). Sie bewahrt das Wort und das Geschehen, lässt es reifen und kann auf jenen Moment warten, an der sich der Sinn dieser Erfahrung erschließt.


Ganz Ohr, ganz Auge, ganz Sinn: In solchen seltenen Augenblicken erfahren wir mitten unter uns das innigste Geheimnis des dreieinen Gottes: „Perichorese, wechselseitige Einwohnung.“ Weil Du bist, bin ich. Ich bin nur, weil wir sind. Menschen sind keine Individuen, sie sind Personen. Person aber ist Beziehung und aus Beziehung. Es ist jedoch ein langer Weg, solche Gastfreundschaft zu üben und die eigenen Drachen und Schatten sich wandeln zu lassen. Paulus nennt diesen Prozess Versöhnung.

 


Ganz Ohr, ganz Auge, ganz Sinn

Dr. Roman Siebenrock

war bis September 2022 Professor für Systematische Theologie an der Katholisch Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.

 

 

 

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