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Aus dem neuen »miteinander«

Gesucht: Pioniere des Guten

Essay von Markus Schlagnitweit

Das Gewissen ist traditionell jener Ort, an dem Menschen ein Gespür für das Gute entwickeln. Doch um von der Erkenntnis zum Handeln zu kommen, um das Gute dann auch konsequent zu leben, braucht es konkrete Vorbilder. Von Markus SCHLAGNITWEIT

miteinander 5-6/2024

miteinander-Magazin 5-6/23

Innerhalb der Philosophie spielt der Begriff des Guten sowohl in der Metaphysik als auch in der Ethik eine zentrale Rolle: Metaphysische Bedeutung hat der Begriff überall dort, wo ethischen Normen und damit dem Guten selbst eine objektive Realität zugeschrieben, „das Gute“ also von einem göttlichen Gesetz oder einer objektiven Weltordnung abgeleitet wird. Es ist in diesem Fall nicht der Mensch, der subjektiv festlegt, was (für ihn) gut ist, sondern, wenn er etwas als gut bewertet, erkennt er lediglich einen Sachverhalt, der bereits als objektiv vorgegeben angenommen wird.


Gibt es „das Gute“ überhaupt?
Jüngere philosophische Ansätze verhalten sich gegenüber dieser metaphysischen Verobjektivierung des Guten allerdings mehrheitlich skeptisch. Sie tragen der religiösen bzw. weltanschaulichen, aber auch kulturellen Pluralität der Moderne sowie der Dynamik wissenschaftlicher Erkenntnis Rechnung. In diesen Ansätzen ergibt sich das, was als „gut“ bewertet wird, eher aus der menschlichen Natur bzw. Erfahrung und gründet v. a. in verallgemeinerbaren menschlichen Bedürfnissen. Gut wäre dann das, was diesen allgemeinen menschlichen Bedürfnissen entspricht. Eine Versöhnung bzw. Synthese dieser unterschiedlichen Zugänge zum „Guten“ ist am ehesten mithilfe der sich in vielen Kulturen und Weltanschauungen in irgendeiner Form findenden „Goldenen Regel“ möglich: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch niemand anderem zu!“ oder – positiv gewendet – „Handle anderen gegenüber stets so, wie du legitimerweise möchtest, dass sie auch dir gegenüber handeln!“

"Menschwerdung ist vielmehr ein lebenslanger Prozess und geschieht niemals in Isolation, sondern immer in sozialer Einbettung."

Das „gebildete“ Gewissen
Die christliche Tradition verortet die Erkenntnis des Guten üblicherweise im menschlichen Gewissen und spricht diesem absolute Geltung zu: Es wird häufig als intimste Schnittstelle zwischen Gott und Einzelmensch, als „Stimme Gottes im Menschen“ betrachtet, weshalb ihm auch unbedingt Folge zu leisten ist, selbst wenn äußere Normen (religiöse Gebote, staatliche Gesetze etc.) dagegensprechen. Einzige Voraussetzung: Das Gewissen des Einzelnen muss entsprechend „gebildet“ sein, denn die „Stimme Gottes“ ist dem Menschen nicht bereits „qua Geburt“ eingepflanzt. Diese Gewissensbildung geschieht auf doppelte Weise: Zum einen kommt niemand bereits als „fertiger“ Mensch zur Welt. Menschwerdung ist vielmehr ein lebenslanger Prozess und geschieht niemals in Isolation, sondern immer in sozialer Einbettung. Jeder Mensch erfährt also seine ganz persönliche Prägung durch seine Mitwelt, zu der auch ganz entscheidend die Vermittlung und Übernahme von (moralischen) Werten zählt. Zum anderen setzen weltanschaulich kohärente Gemeinschaften (wie insbesondere Religionsgemeinschaften) voraus, dass ihre Mitglieder sich ernsthaft und redlich mit den spezifischen Prinzipien, Normen und Werten der Gemeinschaft auseinandersetzen und diese nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten auch teilen, sich also maximal zu eigen machen, sofern nicht schwerwiegende und kritisch geprüfte Gewissensgründe entgegenstehen. Erst das solcherart kritisch gebildete Gewissen kann tatsächlich als Ort der Erkenntnis des Guten gelten und als Basis dafür dienen, „das Gute zu leben“.

 

Vom Erkennen zum Handeln
Die Erfahrung zeigt allerdings, dass Menschen auf Grundlage solcher Prozesse und Reflexionen zwar zu einer Erkenntnis des Guten gelangen können, dieser Erkenntnis aber nicht automatisch ein entsprechendes Handeln folgt. Menschen handeln zuweilen „wider bessere Einsicht“ bzw. irrational, weil menschliche Handlungen eben nicht nur durch Vernunfteinsicht ausgelöst und
gesteuert werden. Triebe und Affekte spielen dabei eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie etwa das Streben nach Anerkennung (zumindest in einer bestimmten sozialen Gruppe) und sozialer Zugehörigkeit oder auch Vorbilder, Werbung, Moden etc. und schließlich – ganz wichtig! – konkrete Lebenserfahrungen. Letzteres bedeutet, dass ein Mensch, selbst wenn er in seinem Gewissen etwas als zweifelsfrei und objektiv gut erkennt, diese Erkenntnis nur dann in sein Handeln integrieren wird, wenn er erfahren hat, dass das tatsächlich auch gut für ihn
selbst ist.

 

Das Gute muss also nicht nur erkannt, sondern auch konkret als gut erfahren werden, damit es praxisrelevant bzw. handlungsleitend wird. Das ist wohl der entscheidende Punkt in vielen aktuellen Herausforderungen: Vermutlich sogar die Mehrheit in unserer Gesellschaft weiß, dass unser aktueller Lebensstil Veränderung und Neuorientierung dringend nötig hat (Stichwort ökologische Krise). Aber gibt es ausreichend positive Erfahrungen darüber, dass z. B. „weniger wirklich mehr sein kann“? Viele halten auch die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens für alle für die bessere und gerechtere Form sozialer Absicherung, aber es gibt noch zu wenig konkrete Erfahrungen, die diese Annahme auch praktisch rechtfertigen. Vermutlich wird es deshalb nicht ohne couragierte „Pioniere des Guten“ als nachahmenswerte Vorbilder und role models gehen, damit immer mehr Menschen in die Lage kommen, das Gute auch tatsächlich zu leben.

 


miteinander-Magazin 5-6/24

Dr. Markus Schlagnitweit

ist Sozialwissenschaftler, Theologe, Wirtschaftsethiker, Autor und Priester. Er wurde 1962 in Linz geboren und 1989 zum Priester geweiht. Seit 2020 ist er Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs (KSOE).

 

 

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