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Aus dem neuen »miteinander«

Helfen ohne schlechtem Gewissen

Interview mit Philosoph Konrad Paul Liessmann

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann im miteinander-Gespräch über den Umgang mit schlechtem Gewissen, sein Problem mit den „Klimaklebern“ und eine Jugend ohne Smartphones. Von Christopher ERBEN

miteinander 9-10/2023

miteinander-Magazin 9-10/23

In der Ukraine tobt Krieg, die Armut steigt, die Klimakrise wächst: Wie kann die Gesellschaft mit derartigen Ereignissen leben, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen?
Ein schlechtes Gewissen müssten wir nur haben, wenn wir unmittelbar etwas zu diesem Krieg beigetragen hätten. Ich denke, dass dies auf die wenigsten von uns zutrifft. Wer allerdings mit Putin Geschäfte gemacht und ihn hofiert hat, könnte darüber schon ins Grübeln kommen. Für unseren Alltag hat dieser Krieg natürlich Auswirkungen, die Wirtschaft gerät aus den Fugen, die ukrainischen Flüchtlinge sind im Land, die Debatten über den Status der Neutralität verschärfen sich. Von Wegsehen kann also keine Rede sein. Allerdings führen, so brutal es klingt, anhaltende Katastrophen auch zu einem Gewöhnungseffekt. Kein Mensch, der sein alltägliches Leben bewältigen muss, kann immer an all das Schreckliche denken, das gerade passiert. Und das kann man auch von keinem Menschen verlangen, nicht zuletzt, weil niemandem damit gedient wäre. Helfen kann man auch ohne schlechtes Gewissen.

 

Wie können wir Gedanken und Gewissensbisse loswerden, damit sie uns nicht permanent quälen?
Es kommt sehr darauf an, ob man aus gutem Grund ein schlechtes Gewissen hat, weil man sich etwa falsch verhalten oder jemanden verletzt, vorschnell ge- oder verurteilt hat, unaufmerksam oder nachlässig war, oder ob uns das schlechte Gewissen eingeredet wird. Haben wir gute Gründe für unser schlechtes Gewissen, dann können wir bereuen; versuchen, etwas wiedergutzumachen oder unsere Lehren für die Zukunft daraus zu ziehen – etwa in bestimmten Situationen vorsichtiger zu sein. Redet man uns allerdings ein schlechtes Gewissen ein, um uns zu manipulieren und gefügig zu machen, sollten wir alles daran setzen, das schlechte Gewissen abzuschütteln, und zu dem stehen, was wir gesagt und getan haben und was wir für richtig halten.

"Mit allem kann man Geschäfte machen. Ja, man kann sogar damit Geschäfte machen, dass man suggeriert, man brauche kein schlechtes Gewissen zu haben – etwa wenn man eine Fernreise plant."

Wer profitiert vom schlechten Gewissen am meisten?
Angst und schlechtes Gewissen sind nicht dasselbe. Angst habe ich vor möglichen Bedrohungen. Ein schlechtes Gewissen habe ich in Hinblick auf schon Geschehenes oder in einem Tun, das mir zweifelhaft erscheint. Mit allem kann man Geschäfte machen. Ja, man kann sogar damit Geschäfte machen, dass man suggeriert, man brauche kein schlechtes Gewissen zu haben – etwa wenn man eine Fernreise plant.

 

Stichwort Klimakrise: Kein Grund für ein schlechtes Gewissen, für Scham und Buße?
Nein, mein Standpunkt hat sich nicht verändert. Das Klima ist für mich eine Frage der Physik und der Chemie, auch der Ökonomie und der Technik, aber nicht der Moral. Das irrationale Weltuntergangspathos der Klimakleber hat mich darin eher bestärkt. Ich halte im Übrigen auch wenig von der in dem Kontext immer wieder geforderten „Generationengerechtigkeit“. Generationen stehen sich nicht starr gegenüber, sodass man zwischen ihnen vermitteln müsste. Entscheidend ist, eine Welt zu gestalten, die es nachfolgenden Generationen erlaubt, eigene Lebensformen zu entwickeln und nicht nur das wegzuräumen, was wir hinterlassen haben.

 

Vor Jahren empfahlen Sie Journalisten eine Moral-Askese. Gibt es einen anhaltenden
moralischen Verfall der Medien?

Die Empfehlung galt für den sogenannten Haltungsjournalismus, der Recherche und das Gebot der Unparteilichkeit in der Berichterstattung durch Moral ersetzt. Der Fall Relotius – also des SPIEGEL-Journalisten, der Reportagen fälschte, damit sie seine linksliberalen Moralvorstellungen bestätigten – hat mich in dieser Mahnung bekräftigt. Auch wenn es schlimm klingt: Ich finde „Moralprüfungen“ in den sozialen Medien furchtbar. Mehr als eine Strangulierung der Meinungsfreiheit nach den Maßstäben der herrschenden Interessen kann dabei nicht herauskommen. Die Frage nach der Qualität ist etwas anderes. Aber die sozialen Medien wurden – wie der Boulevard – nicht erfunden, um Qualität zu produzieren. Die muss man schon woanders suchen.

 

Wissen Sie, wie die junge Generation heute tickt? Schon Kinder machen sich soziale Medien sehr rasch zunutze. Sollen wir sie davor bzw. vor dem Smartphone schützen bzw. fernhalten?

Keine Ahnung, wie „die“ junge Generation tickt. Und zwar deshalb, weil es „die“ junge Generation gar nicht gibt. Eine neue Umfrage zeigt, dass zwei Drittel der Jugendlichen ganz normal heiraten und sich ein Benzinauto zulegen wollen. Nur eine verschwindende Minderheit solidarisiert sich mit radikalen Klimaschützern. Tickt die Jugend also so? Manchen gefällt das dann gar nicht. Die „Jugend“ ist eine Fantasie von Erwachsenen. Und
was die sozialen Medien betrifft: Man soll Jugendliche überhaupt nicht davon abhalten, aber in der Schule haben sie bis zur Mittelstufe wenig bis nichts verloren. Vor allem aber kann man jungen Menschen zeigen, dass es eine Welt jenseits des Smartphones gibt. Darum ginge es, nicht um Warnungen, die ohnehin nicht ernst genommen werden.

 


miteinander-Magazin 9-10/23

Dr. Konrad Paul Liessmann

ist emeritierter Universitätsprofessor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien. In seinem Buch „Lauter Lügen“ (Zsolnay Verlag) befasst sich der 70-Jährige mit Halbwahrheiten, Meinungsblasen, Fake News und Verschwörungstheorien.

miteinander-Magazin 9-10/23

Konrad Paul Liessmann: Lauter Lügen. Zsolnay-Verlag: 2023, ISBN 978-3-552-07342-5, € 26,00.

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