Kontakt
Redaktionsleiter / CvD

 

Mag. Lukas Cioni

Redaktionsleiter / Chef vom Dienst

miteinander-Magazin

Stephansplatz 6

1010 Wien

Tel.: +43 1 516 11-1500

 

Sie haben eine neue Adresse? Schreiben Sie uns hier oder rufen uns unter DW 1504 an.

 

Redaktion & Impressum

Aus dem neuen »miteinander«

"Hier läuft etwas schief"

Interview zu jugendlichem Umwelt-Aktivismus und medialem Wertebewusstsein

Jugendlicher Umwelt-Aktivismus und mediales Wertebewusstsein: Medienethikerin Claudia Paganini und Klima-Aktivist Vincent Schäfer über gesellschaftliche Werte, dysfunktionale Berichterstattung und die Grenzen des Aktivismus. Das Interview führte Lukas CIONI

miteinander 9-10/2023

Agressiver Passant will von Klimaaktivistin die Temperaturdiffferenz erklärt bekommen. Gemeinsame Blockade diverser Klimagruppen (Extinction Rebellion, Scientist Rebellion, Ende Gelände, Teachers for Future, Eltern gegen die Fossil-Industrie) aus Sol

Herr Schäfer, auch wenn es banal klingen mag: Seit wann und warum engagieren Sie sich für Klimaschutz?

SCHÄFER Nachhaltigkeit wurde mir in der Familie vorgelebt. In meiner Jugend spielte
zuerst Sport eine Rolle, im Zuge des Studiums beschäftige ich mich dann mit Themen der Ethik, bis der Punkt kam, an dem mir bewusst wurde: Hier läuft etwas schief. Ich habe dann entschieden, dass es keinen rationalen Grund gibt, nicht zu handeln. Nun bin ich 20 Jahre alt und seit 2022 Teil der „Letzten Generation“.

 

Jenes Engagement hat Sie dann im vergangenen Jahr kurzzeitig in Haft gebracht

SCHÄFER Ende Dezember 2022 war ich Teil einer Klimaschutzaktion in München. In Bayern gibt es das Mittel des 30-tägigen Präventivgewahrsams. Am zweiten Tag wurden wir von der Polizei ab- und einem Haftrichter vorgeführt. In meinem Fall ist das Urteil von 15 Tagen Gewahrsam in der Justizanstalt Stadelheim verhängt worden. Vor allem um Weihnachten herum war das für die gesamte Familie keine schöne Situation. Zudem wurde mir anfangs Post, aufgrund der Feiertage, nicht zugestellt. Ab dem 27. Dezember bekam ich unzählige Briefe mit Solidaritätsbekundungen. Die Frage ist: Welcher Aktivismus ist mit meinen Lebensumständen vereinbar? Es gib hier kein ganz oder gar nicht – moralisches Handeln ist immer möglich und Aktivismus kann auch im kleinen Rahmen gelebt werden.

miteinander-Magazin 9-10/23 

 

Frau Paganini, wie sehen Sie speziell die Berichterstattung über die „Letzte Generation“?

PAGANINI Auffallend ist, dass die deutschen Medien voller negativer Wertungen sind, ob unbewusst oder vorsätzlich kann man sicher nicht pauschal beurteilen. Bei „Fridays For Future“ wurde der Bewegung das kritische Potenzial durch eine inszeniert-positive Hinwendung genommen. Die „Letzte Generation“ verweigert sich diesem Mechanismus. Störungen
und der Konfliktherd Klimakrise bleiben. Politik und Medien reagieren irritiert, indem sie die Bewegung herabwürdigen und kriminalisieren. Angesichts der steigenden Gewaltdynamik erachte ich das für verantwortungslos. Die Stimmung ist aufgeladen und wir sollten uns daher dringend fragen: Wer schützt die Aktivisten?

„Wenn Menschen, die vernünftig, ruhig und wissenschaftlich argumentieren, nicht gehört werden, zwingt man diese irgendwann zu schreien und kritisiert es dann – das ist dysfunktionale Berichterstattung.“

 

SCHÄFER „Fridays For Future“ wurde nach anfänglicher Empörung schnell assimiliert. Die „Letzte Generation“ hingegen fordert politische Bekenntnisse ein. Deutsche Medien- und Politikschaffende diffamieren uns als Terroristen und vergleichen uns mit den Taliban. Das ist in der Tat gefährlich, denn die Gewalt auf der Straße nimmt zu. Stattdessen wäre ein Diskurs über die Rolle des zivilen Ungehorsams innerhalb einer Demokratie sinnvoll.

 

PAGANINI Die gesellschaftliche Ablehnung hängt eng mit der tendenziös negativen Berichterstattung zusammen. Selbst in Qualitätsmedien ist das Vokabular gegenüber der „Letzten Generation“ ein negativ wertendes. Die Logik der Medien verlangt zudem nach radikalen Mitteln. Podiumsdiskussionen oder wissenschaftliche Klimaschutz-Vorträge werden medial kaum thematisiert. Wagt es ein Dozent, im Zuge einer Klima-Blockade direkt auf der Straße Vorträge zu halten, lautet der Vorwurf, dass er oder sie nicht mehr als Wissenschaftler auftrete, sondern zum Aktivisten geworden sei. Wenn Menschen, die vernünftig, ruhig und wissenschaftlich argumentieren, nicht gehört werden, zwingt man diese irgendwann zu schreien und kritisiert es dann genau dafür – das ist dysfunktionale Berichterstattung. Dem Konsumenten wird so die Empathie genommen und der wütende Autofahrer sieht nicht mehr den konkreten Menschen vor sich, sondern den Vertreter einer verhassten Masse. Es ist an der Zeit, dass die Politik klarstellt, dass Klimaschutzaktionen kein Fall für Selbstjustiz sind.

 

Sehen Sie in der Berichterstattung zu Österreich Unterschiede?

PAGANINI In Österreich kommt die Kritik am Klima-Aktivismus tendenziell aus dem rechten Spektrum, in Deutschland hetzen auch Parteien der politischen Mitte. Zudem wird das Thema Klimaaktivismus in Österreich medial leichter aufgenommen als in Deutschland. Möglicherweise liegt das auch am Einfluss von Lobbys wie etwa der deutschen Automobilindustrie.

 

In Österreich solidarisieren sich immer wieder auch Kulturschaffende mit den Aktivisten. Wie ist die Situation in Deutschland?

SCHÄFER Wir haben Aktionen mit Wissenschaftlern oder etwa „Parents For Future“, jedoch braucht es hier mehr berühmte Persönlichkeiten, die während einer Aktion klar Stellung beziehen. Das würde das öffentliche Bild positiv verändern, da möglicherweise bekannte Personen aus konservativeren Lagern ein Zeichen für Umweltschutz setzen könnten.

 

miteinander-Magazin 9-10/23 

 

Wo liegen denn für Sie die Grenzen des Aktivismus?

SCHÄFER Neben Straßenblockaden führt die „Letzte Generation“ Aktionen in Museen, vor Ministerien und an öffentlichen Plätzen durch, das unterstütze ich. Für mich ist die Grenze aber dort erreicht, wo Leben akut gefährdet oder Personen verletzt werden. Ich lehne physische Gewalt vollkommen ab. Die „Letzte Generation“ steht für Dialog und einen offenen Diskurs.

 


miteinander-Magazin 9-10/23

Vincent Schäfer

studiert seit vier Semestern an der Münchner Hochschule für Philosophie, ist Aktivist und Vortragsredner der „Letzten Generation“. 2022 wurde er nach einer Klimaschutz-Aktion für 15 Tage in Präventivhaft genommen.

 

miteinander-Magazin 9-10/23

Prof. Dr. Claudia Paganini

ist Philosophin, Sozialethikerin, Theologin und seit 2021 Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München, Schwerpunkt Medien- und Medizinethik.

CANISIUSWERK
Zentrum für geistliche Berufe

Stephansplatz 6
1010 Wien

Telefon: +43 1 516 11 1500
E-Mail: office@canisius.at
Darstellung: