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Aus dem neuen »miteinander«

Kirche muss Gewissen bilden, nicht verurteilen

Interview mit Moraltheologe Martin M. Lintner

Der Moraltheologe Martin M. Lintner über mehr Eigenverantwortung in Beziehungen, einen überfälligen Wandel hin zu mehr Offenheit und die Frage, warum Rom ihn nicht Dekan an seiner Hochschule sein lässt. Das Interview führte Christopher ERBEN

 

miteinander 1-2/2024

World mental health day concept. Paper human head symbol and flowers on blue background

Seit letztem Sommer sollten Sie Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Brixen sein. Jedoch wurde Ihnen das Nihil obstat (kirchl. Lehrbefugnis) verweigert. Wie gehen Sie mit dieser Entscheidung um?

Sie raubt mir nicht den Schlaf. Als Vorsitzender der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie hatte ich vor etwa zehn Jahren mehrfach die Möglichkeit, gegenüber Vertretern der Bildungs- und Glaubenskongregation die Überarbeitung der Nihil-obstat-Verfahren einzumahnen (lat. für „es steht nichts entgegen“). Allerdings ohne Erfolg. Im zuständigen Dikasterium für Kultur und Bildung wird jedoch an einer Revision der Normen gearbeitet. Mein Fall ist mitten in diese Phase hineingeplatzt, was die Sache verkompliziert hat. Ich bin zuversichtlich, dass künftige Verfahren transparenter und gerechter sein werden.

 

Wie viel Geduld muss ein Theologe heute mit Rom haben, um als Wissenschaftler frei arbeiten zu können?

Viel Geduld, die hilft, die Spannung zwischen Lehramt und wissenschaftlicher Theologie auszuhalten. Beide Seiten stehen im Dienst des Glaubens und der Kirche, haben aber verschiedene Aufgaben. Lehramtliche Entwicklungen sind auf theologisches Vordenken angewiesen, welches das Lehramt in einem ersten Moment oft defensiv ablehnt, später jedoch positiv rezipiert. Das zeigt sich in der Geschichte immer wieder. Manchmal geht es schnell, manchmal dauert es länger und braucht Geduld.

 

Geduld und Verständnis sind Tugenden, die in Paar-Beziehungen immer wieder auf die Probe gestellt werden. Wie sehen Sie das als christlicher Theologe?

Geduld erfordert, dass wir uns der Geschwindigkeit der anderen Person anpassen und die eigenen Interessen nicht in den Vordergrund stellen. Die Haltungen, die es hierfür braucht, bringen uns mit Gott in Berührung: Empathie, Langmütigkeit, dem anderen positive Veränderungen zutrauen und Zeit geben, eine Grundhaltung des Wohlwollens dem anderen gegenüber.

 

In Ihrem neuen Buch fordern Sie eine Rundumerneuerung der Ehe- und Sexualmoral angesichts der kirchlichen Missbrauchsskandale. Welche Änderungen schlagen Sie vor?

Wir müssen den Wandel von einer Verbots- und Gebotsmoral, die sich auf den sexuellen Akt fokussiert, hin zu einer tugendethischen Beziehungsethik schaffen, die den unterschiedlichen Sinndimensionen der Sexualität gerecht wird und auf der beziehungsorientierten Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit gründet. Papst Franziskus sagt, dass die Kirche berufen ist, die Gewissen zu bilden, nicht aber den Anspruch erheben darf, sie zu ersetzen. Hat man in der Tradition oft gemeint, die Aufgabe des Gewissens bestünde lediglich darin, die Gültigkeit von Normen anzuerkennen und sie in der konkreten Situation anzuwenden, wird das Gewissen heute manchmal verstanden als eine rein persönliche Angelegenheit, bei der mir niemand dreinreden darf. Es geht um das Aufzeigen von sittlichen Werten und Prinzipien, die ein verbindlicher Bezugspunkt für die persönliche Gewissensentscheidung sind, die mir im Letzten aber niemand abnehmen kann. Kirche muss Gewissen bilden, nicht verurteilen.

 

Hören junge Menschen in sexualethischen Fragen überhaupt noch auf das Lehramt?

Die Kirche ist gut beraten, in dringlichen Fragen die Geduld von jungen Menschen nicht weiter zu strapazieren. Ich halte neben der Sexualmoral besonders die ungelösten Fragen in Bezug auf die Frauen in der Kirche für zukunftsentscheidend. Wird sich hier nichts bewegen, wird sich eine ganze Generation von Frauen stillschweigend von der Kirche verabschieden. Hier sehe ich bei vielen den Geduldsfaden am Reißen.

 

 


miteinander-Magazin 1-2/24

Dr. Martin M. Lintner OSM

ist Professor für Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Brixen in Südtirol. Er studierte katholische Fachtheologie in Innsbruck, Wien und Rom und setzt sich in seinen Forschungen mit der Sexualmoral der katholischen Kirche auseinander. Im vergangenen Oktober ist im Verlag Herder das Buch „Christliche Beziehungsethik. Historische Entwicklungen – Biblische Grundlagen – Gegenwärtige Perspektiven“ erschienen.

miteinander-Magazin 1-2/24

Buch-Tipp

Martin M. Lintner: Christliche Beziehungsethik. Historische Entwicklungen – Biblische Grundlagen – Gegenwärtige Perspektiven. Herder: 2023, ISBN: 78-3-451-39274-0

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