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Aus dem neuen »miteinander«

Leben im Dazwischen

Essay von Martina Bär

Die Welt ist noch nicht erleuchtet – auch wir nicht. Insofern scheint der Karsamstag jene Erfahrung zu beschreiben, in der wir hoffend und solidarisch liebend stehen. Eine kleine Theologie des Zwielichts. Von Martina BÄR

miteinander 3-4/2024

miteinander-Magazin 3-4/24

Pünktlich zur dunklen Jahreszeit erschien im November 2023 auf Netflix die Miniserie „Alles Licht, das wir nicht sehen“ – eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Anthony Doerr. Dort erinnert sich im Zweiten Weltkrieg „in Zeiten schlimmster Dunkelheit“ während der Belagerung Frankreichs durch die Nazis eine blinde Radiosprecherin, wie sie in ihrer Kindheit immer wieder den Mut machenden und hoffnungsvollen Radiosendungen eines Professors gelauscht hat: „Der Professor sprach jedes Mal über das Licht. Das Licht, das entsteht, wenn man Kohle verbrennt oder Holzkohle oder Torf. Er sagte, das Licht, das man aus der Kohle gewinnt, ist eigentlich Sonnenlicht. Der Punkt ist, Licht hält ewig für Milliarden Jahre im Inneren in einem Stück Kohle, doch Dunkelheit, wie der Professor sagte, Dunkelheit hält nicht mal für eine Sekunde, wenn man das Licht einschaltet.“

 

Die Rede über das Licht, das in der dunklen Kohle verdichtet ist, ist ein Sinnbild für das Licht, das nicht nur in der Welt existent ist, sondern auch in jedem Menschen. Mal leuchtet das Licht klarer, mal weniger. In manchen Momenten des Lebens scheint vor Licht alles verklärt zu sein, manchmal lastet die Dunkelheit schwer. In jedem Fall vertreibt schon ein kleiner Funke Licht die Dunkelheit. Als Christinnen und Christen glauben wir, dass wir – bildlich gesprochen – wie ein Stück Kohle oder Torf sind und Christus unseren Seelenfunken entzünden kann. Wir selbst können das Licht nicht immer sehen, aber es ist da. Unser Alltag bewegt sich meist zwischen
Licht und Dunkelheit – im Dazwischen. Oft bleibt uns nur, darauf zu vertrauen, dass der Lichtfunke in uns oder irgendwo in der Welt leuchtet.

 

Vom Reiz des Zwielichts

Die Natur bringt dieses Dazwischen im Zwielicht zur Veranschaulichung. Wenn es abends dämmert, erzeugt die Stunde des baldigen Sonnenuntergangs ein Zwielicht, das wunderschön ist, aber auch bedrohlich wirken kann. Diese Abenddämmerung erzeugt eine ambivalente Stimmung. Der bekannte Dichter der Romantik Joseph von Eichendorff hat diese Ambivalenz in seinem 1815 veröffentlichten Gedicht „Zwielicht“ beschrieben. Die Stunde des Übergangs vom Tag in die Nacht kann dem Menschen Angst vor einer nicht genau zu beschreibenden Bedrohung einjagen. Zwielicht, so Eichendorff, verlangt dem Menschen Munterkeit und Wachsamkeit ab. Wachsamkeit gegenüber den imaginierten Angstszenarien unserer Psyche, aber auch gegenüber den realen Bedrohungen in der Welt.

Der Karsamstag als Tag zwischen Tod und Auferstehung, zwischen Dunkelheit und strahlendem Licht scheint der passende Tag für eine Theologie des Dazwischen zu sein.“

Die große christliche Hoffnung gegen jegliche Angst und Bedrohung ist Jesus Christus als das Licht der Welt. „Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. (…) Das wahre Licht, das jeden erleuchtet, kam in die Welt“, heißt es über Jesus im Prolog des Johannesevangeliums. Jedoch dürfen wir uns dabei keinem falschen Christus-Heroismus hingeben. Selbst Jesus Christus als das Licht der Welt lebte unter irdischen Bedingungen im Dazwischen bzw. im Zwielicht dieser Welt. Auch wenn er in der Auferweckung den Tod überwunden hat, hat er als Mensch ebenso Ängste durchgestanden und war ärgster Gewalt und Ohnmacht ausgesetzt. Er hat im Garten Gethsemane in den Stunden großer
innerer Not seine Freunde darum gebeten, mit ihm zu wachen und zu beten, und ist dennoch von ihnen verraten und verleugnet worden. Jesus wird als Erlöser der Welt geglaubt und dennoch ist die Welt zum großen Teil unerlöst und scheint mit der derzeitigen Klimakatstrophe in eine unheilvolle Zukunft zu steuern.

 

Im Warteraum

dieser Welt angefangen und dennoch ist es nicht vollendet. Wir leben hier im Diesseits im Dazwischen. Auf den Namen Christi getauft zu sein, ist also kein Selbstläufer. Man ist ebenfalls vielfältigen Bedrohungen im Innern und Äußern dieser Welt ausgesetzt. Die Welt ist noch nicht erleuchtet. Wir sind noch nicht erleuchtet. Der Karsamstag als Tag zwischen Tod und Auferstehung, zwischen Dunkelheit und strahlendem Licht scheint vor diesem Hintergrund sinnbildlich gesprochen der passende Tag für eine Theologie des Dazwischen zu sein. In ihm ist die Erinnerung an die Fülle des Schönen, die Trauer über den Verlust, den Schmerz des sinnlosen Leides und Todes präsent. Zugleich vergegenwärtigt der Karsamstag die ambivalente Spannung zwischen Angst vor der Zukunft und Vorfreude auf die Auferstehung als Erlösung von aller Angst und Trauer.

 

Das menschliche Leben in diesem „Dazwischen“ soll nach göttlichen Maßstäben aber nicht von Einsamkeit oder der Grabesruhe des Karsamstags geprägt sein. Wir sind nicht die von Gott Verlassenen. Vielmehr gilt bis heute die Zusage Jesu, dass der Geist Gottes uns beisteht. Der beziehungsreiche und beziehungswillige Gott pflegt die Beziehung zu uns Menschen durch den göttlichen Geist. Inmitten aller Umbrüche, Krisen und Transformationsprozesse betet er in uns und berührt unser Herz mit Mitgefühl.

 

Das ermöglicht uns, nicht zu verzweifeln, sondern im Dazwischen, im Zwielicht menschenfreundlich zu leben und zu handeln. Eichendorff empfahl, im Zwielicht dem geliebten Freund in der Bedrohung beizustehen. Der Philosoph Theodor W. Adorno sah darin einen Erweis der Suspension des Ichs, d. h. den Sieg der Seele gegenüber der Herrschaft des egoistischen Ichs. Ist dies nicht eine wahrhaft humane, solidarische Haltung, die unserer Welt nottut und Seelenfunken zum Entzünden bringen kann?

 


miteinander-Magazin 3-4/24

Dr. Martina Bär

ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.

 

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