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Aus dem neuen »miteinander«

Mut zum Wandel

Interview zum Thema Kirche und Digitalität mit Religionspädagogin Viera Pirker

Die katholische Kirche tut sich mit Digitalisierung schwer, obwohl es auch im Digitalen ein Bedürfnis nach Tiefgang gibt, meint die Religionspädagogin Viera Pirker. Das Interview führte Daniel SEPER

miteinander 3-4/2023

goldfish jump from bowl to the sea. This is a 3d render

Digitalisierung ist mehr als Gottesdienste zu streamen und eine moderne Webseite zu haben. Hat die Kirche die digitale Wende verschlafen?
Was die Kirche verschläft, ist die Stimme der jüngeren Generation, ist die direkte und reziproke Kommunikation, das Reinschalten in kommunikative Wege durch „echte Menschen“, nicht versteckt hinter Institutionen, Funktionen und Rollenerwartungen. Junge Menschen suchen Ideen, Lebensberatung, persönliche Präsenz auf Augenhöhe in den Medien, in denen sie unterwegs sind – und das ist im Moment das Social Web. Hier begegnen wir nur wenigen Personen, die klar kirchlich situiert sind, die die dort erforderlichen, oftmals unterhaltenden und kurzweiligen Kommunikationsstile beherrschen und sich diesen Kommunikationsformen auch mit der dafür nötigen Zeit und Kreativität widmen können. Medienöffentlichkeit ist von Bedeutung, und dass diese in den vielen Varianten kirchlicherseits nur so schwergängig professionell bespielt wird, trägt leider nicht dazu bei, sie zu verbessern.


Was raten Sie der Kirche angesichts dieser Diagnose?
Kirchen brauchen vor allem mehr Mut, mediale und kommunikative Wege zu nutzen, die fremd wirken und mit „alten“ Formen nicht viel zu tun haben. Unter den Kirchen und religiösen Gemeinschaften gibt es längst schon viele, denen das herausragend gelingt – die römisch-katholische gehört nicht unbedingt dazu. Was gerne als „oberflächlich“ missverstanden wird – ich denke zum Beispiel an die Plattform Instagram –, spricht heute bestimmte Bedürfnisse und Sehnsüchte nach Orientierung, Klarheit, Beziehung und Kommunikation an. Die Welt wirkt am kleinen Bildschirm kontrollierbar. Kleriker in der Altersgruppe 60–85 – ihre Arbeit und Lebensleistung in Ehren – sind für junge Menschen keine besonderen Identifikationsfiguren. Sie sind heute die Figuren, an denen sich eine negative Öffentlichkeit abarbeitet. Die jungen Leader und Gestalter, die Visionärinnen haben in kirchlicher Kommunikation kaum Platz oder Stimmen. Es scheint sie fast nicht zu geben. Eine kleine Ausnahme bieten die „Glaubensinfluencer“, nicht wenige von ihnen sind evangelische Pastorinnen und Pastoren, die sich mit dem Pastoren-Halsbinde und Kaffee online zeigen. Hier feiert eine junge, gern auch queere Form der individuell interpretierten Zentrierung auf ein Amt, das doch keines sein will, fröhliche Urständ.


Was kann die Digitalisierung von Theologie und Kirche lernen – was Theologie und Kirche von der Digitalisierung?
Die „Digitalisierung“ lernt meines Erachtens nicht, sie wird von Menschen entwickelt und vorangetrieben. Vielleicht können diese aber von einer theologischen Grundierung lernen, dass der Mensch nicht durch Datenansammlungen voll erfasst werden kann. Dass der Mensch unverfügbar bleibt, dass es ein anderes, ein Außen gibt, das nicht datenförmig, sondern personal begegnet. Tiefe und Tiefgang, die durch Spiritualität ermöglicht werden, haben es in digitalen Umfeldern mitunter schwer. Doch das Bewusstsein dafür, auch die Sehnsucht danach ist bei vielen Menschen vorhanden. Dieses Feld ist schon längst keine theologische oder kirchliche Domäne mehr und es ist von Relevanz für digitale Kontexte. „Wellbeing“, „mental health“ – das sind Großthemen auch in digitalen Kommunikationskanälen. Doch mit Sinnsprüchen, die in die Öffentlichkeit hinausgeblökt werden, ist es nicht getan.

Umgekehrt kann Kirche von digital durchprägten Kontexten Agilität und kommunikative Klarheit lernen und entwickelt ein vermutlich für viele auch schmerzhaftes Bewusstsein dafür, dass sie nicht mehr das letzte Wort und die Deutungsmacht innehat.

Die #outinchurch-Bewegung hat dies deutlich sichtbar gemacht: Sie hat eine Welle der Solidarität, der Offenheit und Öffnung in den digitalen Kommunikationskanälen nach sich gezogen — natürlich auch reichlich Gegenwind erzeugt. Wer die Macht und Gestaltungshoheit in Religionsgemeinschaften hat, das ist heute keineswegs mehr so klar wie vor 30 Jahren. Die lange Zeit marginalisierten Stimmen finden heute Gehör und können sich im digitalen Kontext verbinden – das prägt die Öffentlichkeit inzwischen deutlich mit. Religiös sein, das heißt heute zunehmend auch wieder, Position zu beziehen.

 

Gibt es so etwas wie eine „Theologie der Digitalität“?
Für mich ist Digitalität ein Zeichen der Zeit, in die hinein das Evangelium genauso gesprochen, gelebt und gewandelt werden kann wie in jede andere Zeit hinein. Die Umgebungsgeräusche sind laut geworden. Bios und Metrik, Leben und Messbarkeit sind Aspekte einer digital durchprägten Gegenwart. Das Metrische scheint derzeit im Vordergrund zu stehen. Die Theologie orientiert sich mehr an der Seite des Lebens als an der Seite der Vermessung. Und das Leben wird nicht im Metrischen aufgehen.

"Für mich ist Digitalität ein Zeichen der Zeit, in die hinein das Evangelium genauso gesprochen, gelebt und gewandelt werden kann wie in jede andere Zeit hinein."

Die Corona-Pandemie hat den christlichen Kirchen einen Digitalisierungsschub abverlangt. Wie haben sich die Kirchen dabei angestellt?

In den Kirchen war gerade in der Zeit des ersten Lockdowns, aber auch danach eine unglaubliche Kreativität und Offenheit für die Entwicklung digitaler Formate wahrzunehmen. Dieser Moment des Stillstands hat Menschen, die in der Seelsorge tätig sind, auf einmal Raum und vor allem Zeit gegeben. In dem Moment, in dem eingefahrene Wege im Alltag von Kirchen und Gemeinden nicht mehr gangbar waren, haben sich viele neu darauf besonnen, wofür und für wen sie ihren Auftrag haben: für andere Menschen, für Kommunikation, für Kinder, Alte, herausgeforderte Personen. Manche haben sich in sich selbst zurückgezogen, die Kirchentüren zugesperrt. Doch gar nicht wenige haben die Atempause im hektischen Alltag genutzt, neue Wege zu gehen, etwas auszuprobieren – auch digital. Sprechende Handpuppen auf YouTube, offene Kirchen für Individuen, Ostern to go und neue Kanäle in Social Media, unzählige Predigten und gute Worte. Manches war merkwürdig, anderes klug, wir haben in der internationalen CONTOC-Studie (Churches Online in Times of Corona) dazu ein breites Spektrum und tiefgehende Reflexionen von gemeindlichen Akteur*innen erfasst. Natürlich ist kritisch zu fragen, ob jede Gemeinde die eigenen Rituale oder Liturgien mehr schlecht als recht streamen müsste oder ob nicht aus dieser Erfahrung heraus es inzwischen hoch an der Zeit ist, gute Online- wie Offline-Angebote zu entwickeln und sich gegenseitig darin bewusst zu stärken. Die Präsenz der christlichen Religionsgemeinschaften, auch christlich geprägter Individuen, ist in digitalen Medien jedenfalls seit dem Beginn der Corona-Pandemie deutlich vielfältiger geworden. Zugleich waren und sind die Hürden der Institutionen teilweise hoch, gerade die Verwaltungen ticken immer noch als Behörden – keine guten Home-Office-Regelungen, keine Kamera am Laptop, Datenschutz statt Ermöglichung, das macht es zusätzlich schwer, vernetzt zu agieren.

Zudem wäre es von Vorteil, in der kirchlichen Kommunikation die Kräfte zu bündeln – die 27 Diözesen in Deutschland leisten sich jeweils eine eigene Medienarbeit, alle machen alles, aber letztlich dann doch nichts richtig, so ist der Eindruck. Und die schlechten Nachrichten zu kirchlichem Scheitern überwiegen, nicht erst im letzten Jahrzehnt.

 

 

 

Mit der digitalen Transformation sind viele Hoffnungen verbunden, sie wird mit Verbesserung und Fortschritt assoziiert. Gleichzeitig entstehen Ängste vor der ungewissen Zukunft. Kannst du Entwarnung geben?

Entwarnung nicht – dafür ist derzeit zu viel im Fluss und in Bewegung. Die Kräfte, die digitale Transformation vorantreiben und entwickeln, sind in vielerlei Hinsicht vom Markt und ökonomischen Interessen geprägt. Es besteht Grund zur Sorge, dass die politischen und gesellschaftlichen Systeme auch durch die späte Umsetzung digitaler Transformationen anfällig und verwundbar werden. In Deutschland sehen wir das derzeit beispielsweise im Bildungssystem, das von föderalen Strukturen, von Verboten und Eingrenzungen beherrscht wird, ohne dass hinreichende Unterstützungsstrukturen entwickelt werden. Für Religionslehrkräfte hat sich das Netzwerk relilab gebildet, das versucht, dagegen kreativ und kommunikativ anzuarbeiten. Digitale Infrastrukturen müssen jedenfalls ausgebaut und deutlich zugänglicher und leichter nutzbar werden. Verantwortung zu übernehmen, Demokratie und Digitale Transformation gelingend zusammenzubringen, das sind Herausforderungen, die wir nur gemeinsam und generationenübergreifend bewältigen können. Zugleich möchte ich aber auch dazu ermutigen, die Möglichkeiten nicht aus dem Blick zu verlieren. Die sogenannten „digital natives“ sind bislang nicht zu Zoombies herangewachsen. Mir begegnen viele sensible, empathische junge Menschen, die ein gutes Gespür für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit haben und die sehr genau wahrnehmen, was sie selbst, die Welt und die Menschen um sie herum brauchen und wie sie dazu beitragen können, dass Zusammenleben auch in pluralen Gesellschaften gelingt. Sie müssen sich in einer lauten, mitunter marktschreierischen Umwelt zurechtfinden, mit Komplexität umgehen und ihre Werte und ihre Orientierung darin finden, am Ende sogar Stellung beziehen. All das ist nicht leicht.

 

Die digitale Transformation hat zentrale Auswirkungen auf das Verständnis vom Menschen. Wie wirkt sich der Wandel denn auf das Gottesbild aus?

Gott ist jenseits der Digitalität – und erzeugt Resonanz im Diesseits der digitalen Kommunikationskanäle. Gott verschwindet nicht in virtuell gestalteten Räumen – aber gottlos müssen diese deshalb noch lange nicht sein. Die alte Frage, ob ein Gott oder ein Götze verehrt wird, stellt sich vielleicht neu im Angesicht der mitunter doch naiv wirkenden Technikgläubigkeit.


Interview Viera Pirker

Dr. Viera Pirker

ist Professorin für Religionspädagogik und Mediendidaktik an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen der digitalen Transformation auf Kirche und Religion.

 

 

 

 

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