Mag. Lukas Cioni
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miteinander 9-10/2025
So viel ist gewiss: Die Zukunft ist ungewiss und Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Es ist nicht einmal gewiss, von wem diese Sentenz stammt, ob von George Bernhard Shaw, Winston Churchill oder dem Physiker Niels Bohr. Verflogen sind jedenfalls der Optimismus, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 herrschte, die Hoffnung auf eine neue Epoche des Friedens, der Demokratie und der Menschenrechte, die Hoffnung auf eine regelbasierte Weltordnung, auf Überwindung globaler Ungerechtigkeit, auf Verständigung zwischen den Völkern, Kulturen und Religionen.
Stattdessen zeichnet sich eine neue Weltunordnung ab. Disruption ist das neue Schlagwort, das allerorten die Runde macht, verbunden mit wirtschaftlichen Abstiegsängsten und gesellschaftlichen Spaltungstendenzen, befeuert durch neue Nationalismen und Identitätspolitiken, die nicht in das weltbürgerliche Lob der Vielfalt einstimmen, sondern die hässliche, antagonistische Seite von Vielspältigkeit zeigen. Fake News und „alternative Fakten“ schüren den Zweifel, ob es überhaupt noch so etwas wie Wahrheit geben kann. Wird die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge hinfällig, ist das Ende jeglicher Gewissheit gekommen.
Corona als Zäsur
Als tiefe Zäsur hat sich global die Corona-Pandemie der Jahre 2020 bis 2023 ins kollektive Gedächtnis eingeprägt. Möglicherweise handelt es sich bei ihr nicht um eine Episode, sondern markiert sie den Beginn eines pandemischen Zeitalters, das auch vom fortschreitenden Klimawandel und seinen langfristigen schädlichen Auswirkungen überschattet wird. Dem klimapolitischen Aktivismus wohnt eine tief sitzende apokalyptische Grundhaltung inne, die auch schon vorher in immer neuen Wellen das atomare Zeitalter erfasst hat. Dass sich eine der Klimaschutzbewegungen als letzte Generation bezeichnet, spricht Bände.
Im Unterschied zu älteren Formen der Apokalyptik, die uns auch aus dem Christentum vertraut sind, handelt es sich heute um Spielarten einer „kupierten“ Apokalyptik (Klaus Vondung), die auf keine jenseitige Erlösung oder eine neue Heilszeit jenseits der Weltkatastrophe mehr hoffen und auch nicht auf das Eingreifen eines Gottes. Ende und Vollendung, Ende und Heil lassen sich nicht mehr zusammendenken. Aktivisten wie Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ sind gewiss, dass Gott uns und die Welt nicht retten wird, sondern allenfalls wir selbst.
Während der Corona-Krise ist uns auf dramatische Weise bewusst geworden, wie wenig es uns Menschen gelingt, die ganze Welt und unser eigenes Leben unter Kontrolle zu bringen. Das Erschütternde an der Corona-Pandemie war der plötzlich eingetretene Kontrollverlust. Das Virus wurde zur Einbruchstelle des Unverfügbaren und Unbeherrschbaren. Die Pandemie geriet zur umfassenden Vertrauenskrise. Auch andere Krisen wie etwa ungeregelte Migration und ihre Folgen haben das Vertrauen in die Politik nachhaltig erschüttert. Gesunken ist auch das Vertrauen in die Wissenschaft und Institutionen wie die Kirchen, nicht zuletzt infolge von sexuellem Missbrauch und seiner unzureichenden Aufarbeitung. Menschen können ohne Vertrauen nicht leben und ohne Vertrauen kann keine Gesellschaft und kein Staat bestehen.
„In der Welt, die besteht, als ob es keinen Gott gäbe,
zu leben, als ob es Gott gäbe.“
Suche nach Vertrauen und Trost
Was eine von Ungewissheit gezeichnete Gesellschaft und ihre Menschen brauchen, sind Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung und Trost. Theologie in Zeiten der Ungewissheit hat sich darum zu bemühen, den Glauben als Quelle der Zuversicht und des Mutes zu bezeugen. Nach evangelischem Verständnis ist Glaube überhaupt gleichzusetzen mit Gewissheit, einer Gewissheit, die auf Gott im Leben wie im Sterben vertraut.
Gewissheit ist nicht mit Sicherheit gleichzusetzen. Glauben ist vertrauensvoller Aufbruch ins Ungewisse, so wie Abraham auf Gottes Wort hin sein altes Leben hinter sich ließ und Israel aus Ägypten ins Gelobte Land aufbrach. Vertrauen will gewagt werden, jedoch nicht ins Blaue hinein, sondern aufgrund göttlicher Verheißungen und göttlichen Zuspruchs. Statt Verheißung und Zuspruch können wir auch Versprechen sagen. Gott hat sich uns Menschen versprochen. Dafür steht der Name Jesus Christus: Immanuel – Gott mit uns. Auch als vermeintlich Abwesender ist er anwesend und im Verborgenen wirksam.
Als ob es Gott gäbe
Kleine Theologie des Als-Ob: In der Welt, die besteht, als ob es keinen Gott gäbe (etsi Deus non daretur), zu leben, als ob es Gott gäbe (etsi Deus daretur). Nein, besser: in der Gewissheit zu leben, dass es ihn gibt und dass er auch jetzt die „Alles bestimmende Wirklichkeit“ (Rudolf Bultmann) ist und bleibt.
Allerdings entzieht sich Gott unseren Rechenkünsten und Kalkulationen. Obwohl unverfügbar und so gesehen unberechenbar, dürfen wir doch mit ihm rechnen und auf ihn zählen. Glauben heißt, uns angesichts unserer Erfahrungen von Unverfügbarkeit und Kontingenz dem wahrhaft unverfügbaren Gott ganz in die Arme zu werfen. Nehmen wir ihn beim Wort, indem wir uns – mit Søren Kierkegaard gesprochen – „ins Leben hinauswagen, hinaus aufs Meer, und […] einen Schrei erheben, ob Gott ihn nicht hören wolle“.
Dr. Ulrich H. J. Körtner
ist Professor für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien sowie Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin.