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Aus dem neuen »miteinander«

Vom Innehalten und Losleben: Theolgie der Brüche

Essay von Benedikt Collinet

Die Bibel erzählt von der ersten bis zur letzten Seite von Abbrüchen und Neuanfängen. Eine kleine biblische Theologie der Brüche. Von Benedikt J. COLLINET

 

miteinander 1-2/2023

Benedikt J. Collinet

Das Wort „brechen“ ist lautmalerisch, indem der Knacklaut in der Mitte es in zwei Teile spaltet. Etwas, das gebrochen ist, bedarf der Heilung und Reparatur. Es kann aber auch ein bewusster Bruch sein, einer, der gar nicht darauf zielt, wieder zusammenzukommen. Solche Brüche finden sich verstärkt auch in Wegmetaphern: auf-brechen als Beginn oder Neubeginn einer Reise, unter-brechen als freiwillige oder erzwungene Pause auf dem Weg und schließlich ab-brechen, falls das Ziel nicht mehr erreicht oder ein Umkehren notwendig ist.


Die Bibel erzählt von der ersten bis zur letzten Seite von solchen Brüchen als Teilen des Lebens. Da ist Gott, der in seiner Schöpfung eine Trennung von Tag und Nacht, von Wasser und Land von Objekten und Lebewesen vornimmt (Gen 1–2). Ohne diese Brüche könnte es keine Tageszeiten, keinen Kalender und damit kein Zeitgefühl geben. Es kommt zum Bruch zwischen Menschen, die einander nicht mehr verstehen können und deren Experiment eines Turmbaus abgebrochen werden muss (Gen 11,1–9), bis sie sich im Bau der Lebensgemeinschaft Kirche wieder verstehen können (Apg 2).
Nur wenige Verse später ruft Gott Abraham an, er möge seine Familie nehmen und aufbrechen in eine völlig neue Welt und ein neues Leben (Gen 12). Auf dem Weg begegnet Gott Abraham und Sarah an ihrem Zelt (Gen 18) und verheißt ihnen einen Neubeginn durch die wundersame Geburt Isaaks. Jakob, dem Sohn Isaaks, begegnet Gott als Kämpfer auf dem Weg (Gen 32) und zwingt ihn so zum Unterbrechen und zur Neubesinnung. Im Exodus ist es wiederum Gott, der einen Bruch mit den Ketten der Sklaverei schafft, welche die Israeliten gefangen hielten, und der in einer langen Geschichte von Aufbrüchen und Unterbrechungen mündete, bis sie endlich das Gelobte Land erreichten.
Israel bricht dann im Land erneut auf, sie gründen ihre Staatsform und brechen damit mit den vorherigen religiösen und sozialen Sitten. Nachdem sie sich einen König geholt hatten und mit diesem Projekt grandios gescheitert waren, kam es zu einer Unterbrechung und zur Verschleppung ins Exil, die ein erzwungener Neuaufbruch wird. Die Umkehr und Rückkehr des Volkes ist in der jüdischen Ordnung der biblischen Bücher dann auch das letzte Ereignis (2 Chr 36). Es ist das Versprechen Gottes, dass jeder Bruch Heilung finden oder in etwas Gutem fortgesetzt werden kann.

 

Kreuzestod und neues Leben

Im Neuen Testament wagt Gott einen weiteren Aufbruch mit der Schöpfung. Gott wird Mensch und bricht damit die alte Vorstellung auf, Gott könne nicht mit uns fühlen oder leben. Das Jesuskind wird gleich darauf zur Flucht gezwungen, einem weiteren unfreiwilligen Aufbruch. Nach seiner Rückkehr begeht Jesus mehrere Tabubrüche, indem er im Tempel die Schriftgelehrten belehrt, Gott seinen Vater nennt und bisherige Wege als ungangbar aufzeigt. Die eingehaltene Unterbrechung des Sabbats ist dabei eben kein Bruch zwischen „richtigen“ und „falschen“ Menschen, sondern ein innerer Aufbruch zu Gott, der an den anderen sechs Tagen zu einem Abbrechen mit schlechten Gewohnheiten und einem Neubeginn führen will.


Gott ist hier in neuer Gestalt mit auf dem Weg, bis zu jenem Moment, wo er selbst am Kreuz gebrochen wird. Jesus geht in den Tod und zerbricht damit nach christlicher Vorstellung auch noch die Ketten des Todes. Dann erweckt ihn der Vater aus dem Todesschlaf und bricht damit auch die Saat des Sämanns aus dem Gleichnis auf, die Saat einer neuen Lebensform österlicher Menschen, die im Vertrauen auf Gott und das Leben in der Welt sind und voll Freude und Tatendrang auf das ewige Leben zugehen.
Dieser fast euphorische Ausblick der Bibel ist jedoch keineswegs ein simples Relativieren oder Wegerklären harter Brüche im Leben von uns Menschen. Der Einbruch von Krankheit, Leid und Tod wird damit nicht ungeschehen. Die Bibel bietet nur eine zusätzliche Perspektive an, mithilfe von Klage und Trost, Hoffnung und Freude die Herausforderungen des Lebens anzunehmen,
selbst wenn es mehr Brüche geben mag, als wir uns erhofft hatten. Manchmal kommt es sogar zu einer Unterbrechung in der Kommunikation mit Gott, die uns hilft, einen Neubeginn mit Gott zu starten; möglicherweise erst nach einigen anderen Wegen, die zu Abbrüchen und Umkehr führen. Abbrüche und Neubeginne sind etwas, das in verschiedenen Generationen unterschiedlich bewertet wird. Der II. Weltkrieg war für meine Großeltern ein Bruch, aus dem heraus sie stark nach Kontinuität suchten. Berufliche oder krankheitsbedingte Unterbrechungen und Neuorientierungen waren eher schwierig für sie, meine Eltern konnten bereits anders damit umgehen – doch auch für sie werden manche alters- und kraftbedingten Unterbrechungen zur Last. Andererseits sehe ich, wie sie sich an ihren Pausen erfreuen können und wie sie im Blick auf ihre Pensionierung lernen, vor vielen Aufbrüchen auch etwas zurückzulassen, loszulassen.

 

Brüche annehmen lernen

In meiner Generation hat sich der Ausdruck YOLO („You only live once“ – „Man lebt nur einmal“) zu einem Lebensmotto entwickelt, das schon in einer frühen Phase des Lebens ein Bewusstsein dafür schaffen will, dass biografische Ab- und Unterbrechungen Teil eines Lebens in Fülle sein können. Wie viel oder wenig davon gesund ist, ob es diese Generation resilienter gegen erzwungene Unterbrechungen macht und ob sie den Tod besser annehmen kann, wird sich erweisen müssen.

Die Bibel erzählt uns mit ihren Geschichten Wege gelingenden und misslingenden Aufbruchs. Sie zeigt einem Prisma ähnlich, dass in den vielen Arten von Brechungen Strahlen des Lebenslichts auftreten, die nur gemeinsam die ganze Schönheit und Tiefe des Lebens ausleuchten. Die Bibel lädt uns dazu ein, diese Brüche anzunehmen und so ein erfülltes Leben zu starten. Karl Rahner sagte bei seinem letzten öffentlichen Auftritt in Freiburg 1984, dass unser Leben jener kleine Moment sei, in dem alles wird, was werden soll – und Jesu letzte Worte im Matthäusevangelium versprechen uns: „Ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). In diesem Sinne lade ich Sie ein, Ihr Leben kurz zu unterbrechen. Nun können Sie über Abbrüche und Aufbrüche nachdenken, und wenn Sie fertig sind: Losleben!

 


Benedikt J. Collinet

Dr. Benedikt J. Collinet

ist Alttestamentler und Mitarbeiter des FWF-Projekts „Karl Rahner und die Bibel“ an der Universität Innsbruck. Seit Herbst 2022 hat er die Vertretungsprofessur „Biblische Exegese und Theologie“ an der Katholischen Hochschule Mainz inne.

 

 

 

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