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Aus dem neuen »miteinander«

Wer ist hier perfekt?

Eine Analyse von Franz-Josef Huainigg

Eine Analyse über das Außergewöhnliche des Gewöhnlichen.

Von Franz-Joseph HUAINIGG

miteinander 1-2/2025

miteinander-Magazin 1-2/25

Ich bin am Rednerpult im Parlament. „Wer von Ihnen ist perfekt, Sie, Herr Klubobmann, oder Sie, Frau Ministerin? Heben Sie bitte Ihre Hand!“, fragte ich in meiner Plenarrede im Jänner 2015, wo die Präimplantationsdiagnostik – eine Methode zur genetischen Untersuchung von Embryonen vor deren Einsetzung in die Gebärmutter im Rahmen etwa einer künstlichen Befruchtung – zur Abstimmung stand. Ich war gegen dieses Instrument der Selektion zwischen wertem und unwertem Leben im Reagenzglas. Betroffenheit und fragende Gesichter im Saal, aber niemand hob die Hand. Daraufhin hob ich meine Hand und sagte: „Auch in meiner Unperfektheit bin ich perfekt.“ Applaus und Gelächter. Leider wurde die Präimplantationsdiagnostik trotzdem beschlossen, aber zumindest erreichte ich ein Nachdenken, wie fragwürdig in unserem Leben Perfektheit und Normalität sind.
Ich wuchs als Kind mit einer Schar nicht behinderter Nachbarskinder auf. Zwar war ich immer wieder traurig, dass ich nicht mit Fußballspielen konnte, aber ich war einer von ihnen und fühlte mich nicht als behindert. Erst als ich mich für einen Ferienaufenthalt in England schriftlich bewarb, saß ich vor einem Blatt Papier und wusste nicht, was ich schreiben sollte. Wie sollte ich meinen Unterstützungsbedarf beschreiben. Mir fiel damals keine Umschreibung ein und letztlich tippte ich: „Ich bin behindert.“ Ein erstes Bekenntnis, und das schwarz auf weiß. Ich war normal, aber doch irgendwie anders. Diese Außergewöhnlichkeit verhalf mir aber zu einer Einstellung, dass ich nie die Probleme sah, sondern immer die Herausforderungen, die ich annahm.


Das alltägliche Miteinander
Dank dem Kampf meiner Eltern konnte ich in eine Regelschule gehen, wo ich das erste Kind mit einer Behinderung war. Insgesamt ging ich 13 Jahre in die Schule und musste niemals meine Schultasche allein tragen. Ein Rekord. Ich profitierte von meinen Mitschülern und Mitschülerinnen und sie wohl auch von mir, indem das alltägliche Miteinander für sie zur Selbstverständlichkeit wurde. Mein gewöhnliches Leben verlief aber durchaus außergewöhnlich: Bei meiner Führerscheinprüfung fiel nicht ich, sondern mein Auto durch, dessen technische Adaptierung dem Prüfer als unzureichend erschien. An der Universität
konnte ich mit meinen Stützschienen nicht sitzen und rutschte immer wieder von den Plastiksesseln runter. Das Germanistik-Institut hatte aber eine Lösung parat: Der Hauswart schob in jede Vorlesung einen eigenen Bürosessel herein. Da ich immer zu spät kam und der Stuhl großen Lärm verursachte, gelang es mir nicht, ganz unauffällig gewöhnlich zu
sein, was ich vielleicht nicht wollte.

 

Auffällig unauffällig
Ich engagierte mich aus meinen eigenen Erfahrungen heraus für die schulische Inklusion, nahm an Demonstrationen teil und kämpfte in der Behindertenbewegung mit. 2006 wurde ich vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eingeladen, mich für ein Mandat im Nationalrat zu bewerben. Ich fiel auf, da ich mitunter nicht auffiel, zum Beispiel wenn ich mit meinem Rollstuhl unter den Stehtischen verschwand. Im Plenarsaal hielt ich meine Reden mit sehr leiser Stimme. Aber, oh Wunder, das für mich Gewöhnliche führte zu einer
außergewöhnlichen Reaktion: Im Plenarsaal wurde es immer mucksmäuschenstill,
wenn ich redete. Jeder wollte hören, was ich zu sagen hatte. Von meinen Kollegen
und Kolleginnen war viel Unsicherheit bemerkbar, der ich mit Humor und Offenheit begegnete. So machte ich im Parlament das Außergewöhnliche zum Gewöhnlichen. Was kann ich aus diesen Erfahrungen weitergeben? Wichtig ist, dass man niemals aufgibt und immer neue Wege sucht. Nicht herumjammern bei Problemen und Schwierigkeiten, sondern die tagtäglichen neuen Herausforderungen annehmen.


Humor als Türöffner
2016 habe ich das Buch „Mit Mut zum Glück“ geschrieben, wo ich aus meinem Leben erzähle, wie man Nachteile zu Vorteilen machen kann. Das Leben muss man annehmen und gestalten, wer liebt, dem gehört die Welt, offen sein für andere und geteiltes Glück ist doppeltes Glück. Da ist vor allem wichtig, auf den Humor nicht zu vergessen, das ist ein Türöffner in ein
Miteinander auf Augenhöhe. Wir leben in einer seltsamen Zeit, die ich sehr kritisch sehe. Autonomie wird zunehmend als oberstes Lebensprinzip gesehen. Aber wer kann wirklich ohne Freunde, Familie und Netzwerke leben? Alle wollen außergewöhnlich sein. Schenken wir uns mehr Vertrauen im Miteinander. Ich nenne das das neue Gewöhnlich!

 


miteinander-Magazin 1-2/25

Dr. Franz-Joseph Huainigg
ist Schriftsteller, Kinderbuchautor und zweifacher Vater. Seit einer Impfung im siebten Lebensmonat ist der Medienpädagoge gelähmt. Von 2002 bis 2017 war er  Abgeordneter des Österreichischen Nationalrats und u. a. Sprecher der ÖVP für Menschen mit Behinderung. Seit Jänner 2019 ist er Mitarbeiter im ORF in der neu geschaffenen Abteilung „Barrierefreiheit und Inklusion“.

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Buchtipp
Franz-Joseph Huainigg: Mit Mut zum Glück. Carl Ueberreuter Verlag: 2016. ISBN: 978-3800076451, € 11,00

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