Mag. Lukas Cioni
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miteinander 9-10/2025
Sr. Melanie, in ihrem neuen Buch Atlas der unbegangenen Wege geht es um Neuanfänge, Auf- und Umbrüche. Welche Umbrüche haben Sie erlebt?
Der größte Umbruch in meinem Leben kam mit der Entscheidung, in eine Ordensgemeinschaft einzutreten. Vor meinem Eintritt hatte ich mich wie ein Fisch im Wasser gefühlt: Ich lebte in München, in einer tollen Umgebung, wo ich viel gewandert und Fahrrad gefahren bin. Ich arbeitete als Studierendenseelsorgerin, hatte einen Lehrauftrag in Philosophie, gute Freunde und eine schöne Wohnung. Zugleich habe ich aber auch eine latente Unruhe in mir gespürt: „Es muss doch mehr als all das geben“, wie Nelly Sachs geschrieben hat. Ich habe mich nach einem Leben gesehnt, in dem ich die Hände falte und die Ärmel hochkrempele und mich gemeinsam mit anderen für eine bessere Welt einsetze. Im September 2003 bin ich den Salvatorianerinnen begegnet, habe nur wenig später meine Stelle gekündigt und bin im Sommer 2004 dann nach Österreich aufgebrochen.
Wie war es für Sie, Ihr altes Leben zurückzulassen?
Ich habe mit viel Freude und manchen Ängsten den Neustart gewagt. Was ist, wenn ich mich täusche? Wenn ich eines Tages erkennen muss: Ich habe umsonst viel Gutes aufgeben, etwa meine erfüllende und erfolgreiche Karriere. Es hat dann seine Zeit gedauert, bis ich deutlich spürte: Ja, dieser Weg erfüllt mich, auch wenn er Höhen und Tiefen mit sich bringt. Von der Freude des Neubeginns, von Zweifeln und Ängsten sowie dem Glück des Angekommenseins – von diesen verschiedenen Phasen eines Veränderungsprozesses handelt das neue Buch. Sie teilen im Buch auch Tagebucheinträge.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, so private Einblicke zu geben?
Grundsätzlich schreibe ich in meinen Büchern nicht in der Rolle einer Expertin, die über den Dingen steht. Wenn ich über Zuversicht, über Ohnmacht oder Wandlungsprozesse schreibe, dann schreibe ich immer auch als eine Frau, die selbst um Zuversicht ringt, die Ohnmacht kennt und von innen her weiß, wie sich Neuanfänge und Umbrüche im Leben anfühlen. Ich zeige mich in meinen Büchern – in wohl dosiertem Umfang – bewusst persönlich, weil erzählte Geschichten beim Lesen mehr ansprechen, wenn sie aus dem Leben kommen. Persönliche Geschichten berühren, weil sie universelle Erfahrungen widerspiegeln: Ängste, Zweifel, aber auch Zuversicht begleiten jeden Neubeginn. Darin kann jede und jeder sich finden.
Was kann bei schwierigen Neuanfängen helfen?
Es tut gut, sich an gelungene Neuanfänge zu erinnern: Was hat mir damals geholfen, das Wagnis des Neuen einzugehen? Solche Erfahrungen stärken das Vertrauen in die eigenen Kräfte. Wichtig finde ich auch, Gespräche mit Menschen zu suchen, die einen guten Blick aufs Leben haben, mit denen man offen reden kann, die einem beistehen, wenn es mühsam wird, und auch kritische Fragen stellen. Denn das hilft, einen klareren Blick auf eine Situation zu bekommen. Das Gefühl, nicht mutterseelenallein zu sein, sondern Verbundenheit zu erfahren, flößt Vertrauen ein. Ein dritter Punkt: Der Mut zum Aufbruch lebt von einem Ja zu etwas Größerem. Wenn das, was ich ersehne, wichtiger wird als die Widerstände, die sich mir in
den Weg stellen, bin ich fähig, aufzubrechen und auch dann noch Kurs zu halten, wenn Gegenwind aufkommt. Wie geht man am besten mit äußeren und inneren
Widerständen um?
Zunächst ist es wichtig, ganz nüchtern mit inneren und äußeren Widerständen zu rechnen, wenn man seinem Herzen folgt. Ich würde sogar sagen: Wenn man auf Dauer keine Widerstände spürt, dann ist man nicht wirklich aufgebrochen, weil man es noch nicht gewagt hat, wirklich ins Neuland hineinzugehen. Also, Widerstände vor dem Aufbruch und dann auch mittendrin sind völlig normal. Zweitens: Wir tun uns selbst einen Gefallen, wenn wir uns nicht einseitig auf den Verlust, die Wehmut oder den Schmerz einer Umbruchphase konzentrieren, sondern auch die neuen Möglichkeiten sehen, die sich uns eröffnen. Und das Gute schätzen, das wir erfahren. Und drittens kann ein spirituelles Leben die Kraft und das Vertrauen stärken, den Schritt über die Schwelle zu wagen. Wenn ich ahne, mit dem göttlichen Geheimnis verbunden zu sein, dann schenkt mir das Hoffnung. Gerade wenn der Boden unter den Füßen schwankt, so ist da die Zuversicht, dass ich nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand.
Sr. Melanie Wolfers
ist Salvatorianerin, Philosophin und Theologin. Die Bestsellerautorin betreibt den Podcast „GANZ SCHÖN MUTIG“ und moderiert im ZDF die kirchliche Talksendung „die letzte Bank“.
www.melaniewolfers.de
Buchtipp
Melanie Wolfers, Andreas Knapp: Atlas der unbegangenen
Wege. Eine Reise zu dir selbst. Bene!-verlag: 2025, ISBN: 978-3-96340- 323-1, € 24,00