Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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miteinander 9-10/2023
Der Tätowierer Silas Becks aus Stuttgart arbeitet mit mir schon seit mehreren Jahren an einer Zusammenschau von subkutaner Tinte und christlichem Glauben: Im Zentrum dieses Anliegens stehen die Zeichenhaftigkeit des Glaubens selbst, die Ausdruckskraft von christlichen Symbolen sowie der Umgang mit dem Körper als ein kostbarer Augenblick in der Gottesbeziehung.
Dabei geht es uns weder um einen oberflächlichen Aktionismus noch um den pastoralen Taumel eines Tastens nach den sogenannten „Zeichen der Zeit“, sondern um eine ernste Auseinandersetzung mit der Leibhaftigkeit des Glaubens. Während in Europa jede zweite Person unter 40 eine Tätowierung trägt und auch die Tätowierung eine der ältesten Formen der sakralen Kunst im christlichen Spektrum darstellt, gibt es praktisch keine Formen in der Liturgie, die dies abbilden. Dabei wäre die Tätowierung prädestiniert, um beispielsweise in der Sakramentenkatechese, etwa bei der Erwachsenentaufe, dem Weihesakrament oder der Ehe (verbindende Zeichen) eine optionale Rolle zu spielen.
„In einer solchen Gemeinschaft wird Gottes Geist erleb- und fühlbar.“
Menschen schmücken sich mit Zeichen, um zu zeigen, wie sie drauf sind, wie sie ticken, woran sie glauben. Nicht nur der Dominikaner Heinrich Seuse (1295–1366) oder die Mystikerin Christine von Stommeln (1242–1312) sind neben Königinnen und Hofräten, Senatoren des 19. Jh. und Industriellen der 1950er-Jahre Beispiele dafür, dass die christliche Tätowierung alle gesellschaftlichen Schichten durchdringt. Tattoo-Traditionen etwa in Loreto oder in Jerusalem sind in Vergessenheit geraten. Die Kirche als ohnehin traumatisierte Organisation hat sich einer hochdynamischen, auf Freiwilligkeit und Respekt vor dem Körper gründenden Tattoo-Mode lange verschlossen, obwohl viele Arten von Frömmigkeit durch zeitgebundene Trends bestimmt sind.
In Wien jedenfalls wollten sich in der Woche nach Ostern 2023 mehrere Hundert Menschen ein christliches Zeichen stechen lassen. Viele kamen – ob sie einen der wenigen Plätze ergattern konnten oder nicht – vorbei, auch um ihre Tattoo-Geschichte zu erzählen, sich segnen zu lassen, um an der Messe für tätowierte Menschen teilzunehmen oder einfach zuzuschauen. In einer solchen Gemeinschaft wird Gottes Geist erleb- und fühlbar.
Eine 79-jährige Großmutter lässt sich ein Kreuz tätowieren, um sich mit ihrer Enkelin zu solidarisieren, eine Mutter erscheint mit ihren drei erwachsenen Söhnen, damit sich alle vier – zum Schrecken des Papas – zusammen das frühchristliche Symbol des Fisches (Ichthys) stechen lassen, ein Benediktiner lässt sich das Christusmonogramm als Zeichen des Priestertums tätowieren, auch der Franziskaner P. Manuel Sandesh bekommt ein Tattoo.
Eingebettet waren diese Akte der Zeichengebung und des öffentlichen, bleibenden Bekenntnisses in eine Eucharistiefeier, bei der am Vorabend die Hände des Tätowierers durch P. Thomas Vanek gesegnet wurden – in Anwesenheit einer ad hoc zusammengekommenen bunten Gemeinde in der voll besetzten Ruprechtskirche.
Fotos und Statements von Teilnehmenden der Quo-Vadis-Tattoo-Aktion finden Sie unter:
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Christopher Paul Campbell
ist Theologe, Autor, miteinander-Redaktionsmitglied und seit 2022 Leiter des Begegnungszentrums „Quo vadis?“ der Ordensgemeinschaften Österreichs.