Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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Müde, träge, ausgebrannt
Je länger die Corona-Pandemie andauert, desto mehr gleichen die sozialen und gesellschaftlichen Folgen einem Burn-out. Diese Diagnose stellte unlängst der deutsche Soziologe Hartmut Rosa in einem Interview mit der Zeit. Es mangele „an einer klaren Idee von sozialer Energie“ – anders gesagt: Corona und die soziale Distanzierung habe viele Menschen von jenen Batterien abgeklemmt, die ihnen in normalen Zeiten Energie geben: zwischenmenschliche Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten.
Die Kirchen könnten in dieser Situation Energietankstellen sein, an denen Menschen unter Einhaltung der Präventionsregeln zusammenkommen, miteinander feiern, Hoffnung tanken. Könnten. Tatsächlich sehen sie sich seit Beginn der Pandemie mit dem Vorwurf konfrontiert, keine Worte zu haben bzw. zu schweigen. Oder noch schlimmer: nur um sich selbst zu kreisen. „Wir waren alle zunächst überfordert, in einer Art Schockstarre, und mussten zuerst einmal die internen Herausforderungen klären, vor allem die Frage nach den Gottesdiensten und dem Gemeindeleben“, bestätigt etwa die Theologin Regina Polak in einem Interview in der Wiener Kirchenzeitung Der Sonntag.
Wozu ist Kirche da?
Ein Vorwurf, der nicht neu ist, aber gerade in dieser sensiblen Zeit besonders schmerzt. Schließlich gab und gibt es vielerlei kirchliche Hilfsangebote für Menschen, die Corona in eine soziale, berufliche oder finanzielle Notlage gebracht hat. Auch bemühen sich Tausende Seelsorgerinnen und Seelsorger im ganzen Land mit kleinen Gesten der Nachbarschaftlichkeit ebenso wie mit konkreter Fürsorge oder dem schlichten Gespräch darum, dass eben jene Seelen keinen bleibenden Schaden nehmen. Dies alles wird kirchlich kommuniziert – über Pressestellen, Agenturen, Kirchenzeitungen und digitale Medien.
An dieser Stelle scheinen ein paar Differenzierungen angebracht. Natürlich stimmt es, dass die Institution Kirche sich aufgrund ihrer Größe und Organisationsstruktur schwer tut, rasch und agil ihren Betrieb umzustellen, laufende Projekte auf Eis zu legen und in einen Krisen-Hilfsmodus umzuschalten. Auch ist es richtig, dass Kirche mit ihren Angeboten oft schwer Gehör findet: Denn wo immer weniger Menschen kirchlich sozialisiert sind, wo religiöse Sprachfähigkeit abnimmt und Kirche aus dem Wortschatz verschwindet, da werden auch die kirchlichen Angebote medial kaum mehr wahrgenommen. Schlichtweg, weil die Aufmerksamkeit nicht nur des Individuums, sondern dessen persönliche mediale Filterblase und die Algorithmen, die die Informationen in diese spülen, Kirche und kirchliche Angebote für diese Personen als uninteressant einstufen.
Wider die Sprachlosigkeit
Aber es hilft nicht, nur auf die anderen zu zeigen – denn Kirche trägt an dieser Entwicklung mit Schuld. Allzu oft scheint selbst für Gläubige das kirchliche Spitzenpersonal weit weg von der Realität der Menschen vor Ort; allzu oft bleiben bischöfliche Wortmeldungen bloße Sprechblasen im Stil von Sonntagsreden; und immer wieder – auch das muss angesprochen werden – verschließen sich Priester dem Dialog mit den Gläubigen. Aus Angst vor dem Verlust einer Macht, einer Vorrangstellung in der Gesellschaft, in der Gemeinde, die sie eigentlich schon längst eingebüßt haben; aus Angst davor, auf Nöte keine tragfähigen Antworten zu haben. Mit einem Wort: Es waren und sind vor allem die engagierten Gläubigen, die das Schiff, das sich Gemeinde nennt, durch die raue See der letzten Monate gesteuert und auf Kurs gehalten und für ein Lebenszeichen von Kirche gesorgt haben.
Das ist eine gute, aber zugleich ernüchternde Nachricht: Denn genau dieser „harte Kern“, der das Fundament von Kirche (vor Ort) bildet, erodiert zusehends oder droht – um es mit Hartmut Rosa zu sagen –, müde, träge, ausgebrannt das Handtuch zu werfen. „Derzeit erscheinen mir die Kirchen mutlos“, schreibt Rosa in der aktuellen Ausgabe der Herder Korrespondenz. Sie würden an ihrer „Systemrelevanz“ zweifeln – dabei hätten Kirchen höchste Relevanz, wenn es darum geht, die Ressource schlechthin zu bieten: Sinn. In der Sprache des Soziologen: Die Kirchen sollten die Chance nutzen, „um einen Geschmack für andere soziale Formationen und Beziehungsqualitäten wach zu halten“. Die Frage steht im Raum, wie genau das kirchlich umgesetzt werden könnte. Immerhin: Nicht nur die Menschen in den Gemeinden, auch die vermeintlich religionsferne Soziologie glaubt an uns – enttäuschen wir sie nicht und senden wir ein Lebenzeichen!