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Vom guten Leben

Menschen brauchen etwas Schönes im Leben

Der Philosoph Wilhelm Schmid über die Rolle des Glaubens

Im miteinander-Interview erläutert der Philosoph Wilhelm Schmid, wieso das Leben nicht immer gelingen kann, welche Rolle der Glauben für ein gutes Leben spielen kann und warum Berührungen zur Gelassenheit beitragen. Das Interview führte Stefan HUBER.

 

Philosoph Wilhelm Schmid über die Rolle des Glaubens | miteinander 7-8/2020

 

Happy senior couple outside in spring nature, hugging at sunset. Side view.

Dinge, die wirklich wichtig sind im Leben: Berührung, Beziehung, Bewegung. Ihnen verdanken wir viel Lebenssinn.

 

Was bedeutet gutes Leben für Sie?

 

Das Leben ist zerbrechlich, das hat die Corona-Krise allen drastisch vor Augen geführt. Für Menschen, die die Erfahrung einer Krankheit kennen, ist es nicht neu, dass von jetzt auf gleich alles ganz anders sein kann. Das heißt aber, das Leben kann nicht immer gut sein, es kann nicht immer nur gelingen. Daraus habe ich schon früh den Schluss gezogen, dass es bei der Lebenskunst nicht um ein gutes und gelingendes Leben gehen kann. Ich versuche, diese Begriffe zu vermeiden, denn sie gaukeln Menschen etwas vor, das sie nur zu überaus hohen Erwartungen an das Leben verleitet und dann irgendwann zu bitteren Enttäuschungen führt.

 

Wie kann es gelingen, in einer Ausnahmesituation wie der aktuellen Corona-Krise ein gutes Leben zu führen?

 

Es genügt, wenn es halbwegs gut ist, mehr zu erwarten scheint mir jetzt nicht sinnvoll zu sein. Hilfreich ist sicherlich, wenn wir unsere Ansprüche und Erwartungen vorübergehend etwas absenken. Moderne Menschen sind oft ungeduldig wie die Kinder, die hier und jetzt bekommen müssen, was sie wollen. Aber wäre es nicht auch möglich, sich darauf zu freuen, wie schön es sein wird, in einem Jahr die erträumte Reise machen zu können? Wie großartig es sein wird, einfach wieder in ein Café gehen zu können? Früher war das die reine Selbstverständlichkeit, künftig werden wir eine neue Dankbarkeit dafür empfinden.

 

„Alles hat man herausgefunden, nur nicht, wie man lebt.“ Was würden Sie auf diese Aussage von Jean-Paul Sartre entgegnen?

 

Die meisten Zitate halten einer Überprüfung nicht stand, das ist meine Erfahrung als Forscher. Meine Lebenserfahrung wiederum ist, dass diese Aussage auch inhaltlich nicht stimmt. Ich bin nicht etwa zur Lebenskunst gekommen, weil ich sie schon hatte, sondern weil sie mir fehlte. Mein Wissen, wie man lebt, bezog sich auf das kleine Dorf, in dem ich aufgewachsen war und wo Tradition, Konvention und Religion das Leben bestimmten. Irgendwann wollte ich ein freies Leben führen, wie es die Stadt bietet, aber für dieses Leben war ich nicht gerüstet. Erst einmal musste ich mir theoretisch klarmachen, was fürs Leben wichtig ist, beispielsweise Beziehungen zu anderen und zu sich selbst. Daher meine dicken Bücher über Liebe, Freundschaft und die Freundschaft mit sich selbst. Dann konnte ich das auch praktisch umsetzen. Immer wieder schreiben mir Menschen, wie sehr ihnen das in ihrem Leben geholfen hat, also kann man sehr wohl herausfinden, wie man leben kann.

 

Welche Rolle kann der Glaube in einem guten Leben einnehmen?

 

Der Glaube öffnet das endliche Leben ins Unendliche. Das ist wichtig, wenn das Leben nicht gut ist. Religion ist auch mir sehr wichtig. Was ist Religion? Der Rückbezug auf etwas, das für wesentlich gehalten werden kann. Das Wesentliche ist größer als das Ich und allumfassend, sonst würde es ein Ich und die Welt gar nicht geben können. Der Körper bricht irgendwann zusammen, also kann er nicht das Wesentliche sein. Getragen wird er zeitlebens von Energie, die auch nach dem Tod bleibt, gemäß dem Energieerhaltungssatz der Physik, also könnte die Energie in ihren vielen Formen das Wesentliche sein. Mit Meditation und Gebet treten wir immer wieder in Beziehung dazu, daher fühlen sich Menschen danach gestärkt.

 

„Es ist ratsam, über den Tod nachzudenken“, sagt Epikur. Wie ratsam ist das aus Ihrer Sicht?

 

Das ist eine althergebrachte philosophische Übung, die auf die Schule des Protagoras im 5. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht und bis heute ihre Bedeutung nicht verloren hat. Das Leben gewinnt an Wert durch das Bewusstsein, dass es begrenzt ist. Philosophieren heißt leben lernen, aber ein wichtiges Hilfsmittel dafür ist, sich über die Begrenztheit des Lebens klarzuwerden. Es geht nicht darum, ständig an den Tod zu denken, nur ab und zu, beispielsweise anlässlich der kirchlichen Totengedenktage im November, die auch ich zum Anlass nehme, um Gräber aufzusuchen. Und auch ich bin überzeugt: Was mit dem Tod endet, ist nur dieses Leben, sonst nichts. Niemand weiß genau, was danach sein wird, aber irgendetwas ist da. Vermutlich ist es so wie immer im Leben: Wenn etwas zu Ende geht, beginnt etwas anderes.

 

Haben Sie einen „Lebensratschlag“, den Sie unseren Lesern mitgeben wollen?

 

Menschen brauchen etwas Schönes im Leben. Damit lassen sich unschöne Seiten und Zeiten ausbalancieren. Schön ist das, was bejahenswert ist, unabhängig davon, ob auch andere es für schön halten. Das Schöne muss nichts Anspruchsvolles sein, es können ganz kleine Dinge sein, ein vertrautes Gespräch mit einem Freund oder einer Freundin, ein Gang durch die Natur, ein kleiner Genuss, eine Tasse Kaffee, eine Viertelstunde Auszeit nur für sich allein.

 

Sie waren unter anderem auch als Krankenhausseelsorger tätig, haben dabei mit den Menschen über das Leben gesprochen. Was hat die Menschen in diesen Gesprächen am meisten bewegt?

 

Das Glück. Der Sinn. Viele glauben, dass das Glück immer nur anderen zuteil wird, während sie selbst vom Glück übersehen werden. Aber es gibt keinen Menschen, der immer nur im Glück lebt, das sieht nur von außen gesehen so aus. Lebenskrisen und jetzt die Corona-Krise belehren uns, dass das Glück wankelmütig ist. Glück kann schon aus diesem Grund nicht das Wichtigste im Leben sein. Wichtiger und haltbarer ist der Sinn. Deswegen halten zum Beispiel Eltern auch dann zu ihren Kindern, wenn sie vielleicht mit ihnen momentan nicht restlos glücklich sind. Sie sehen Sinn in ihnen. Sinn kann schwierige Zeiten gut überdauern, das Glück nicht so gut.

 

Die Sehnsucht nach Gelassenheit ist groß, Sie haben diesem Thema ein eigenes Buch gewidmet. Wie lässt sich diese erlangen?

 

Zum Beispiel durch Berührung. Berührung macht gelassen. Die Hand eines anderen Menschen halten zu dürfen. Sich körperlich nahe sein zu können. Jede und jeder weiß, wie eine Umarmung wirkt, die willkommen ist, nicht nur zwischen Liebenden, sondern auch zwischen Freunden, auch zwischen Eltern und Kindern, Großeltern und Enkeln. Die Corona-Zeit ist eine Zeit, in der es manchen an Berührung fehlt. Aber gerade dadurch werden wir nun darauf aufmerksam, was wirklich wichtig ist im Leben. Eben Dinge wie Berührung, Beziehung, Bewegung, denen wir viel Lebenssinn verdanken.

 

Zur Person

Dr. Wilhelm Schmid lebt als freier Philosoph in Berlin und lehrte als außerplanmäßiger Professor Philosophie an der Universität Erfurt. Schwerpunkt seiner Forschung ist die Lebenskunstphilosophie.

www.lebenskunstphilosophie.de

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