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Höre auf die Dame in Schwarz!

Achtsamkeit von Depressionen

C. G. Jung soll die Depression als Dame in Schwarz bezeichnet haben. Wenn sie auftritt, solle man sie als Gast hereinbitten und hören, was sie zu sagen hat. Gut möglich, dass durch die dunkelsten Gedanken, Gefühle, Leidenschaften letztlich auch Gottes Stimme hörbar wird.

Von Wunibald MÜLLER.

miteinander 7-8/2022

 

Wunibald Müller

 

Diese Seite der Depression wird oft vernachlässigt. Ich kann das gut verstehen. Wer will nicht, wenn ihn eine Depression heimsucht, sie möglichst schnell wieder loswerden? Auch ich erachte es aus der Sicht des Psychotherapeuten für richtig und wichtig, eine Depression zunächst von einer medizinischen Betrachtungsweise her zu sehen, die in ihr eine psychische Krankheit sieht.
Ist das geschehen und hat man alles unternommen, was an medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung möglich ist, sollte man aber dazu bereit sein, in manchen depressiven Erfahrungen wichtige Botschaften unserer Seele zu sehen und zu entdecken. So mag unsere Seele manchmal über die Depression signalisieren, dass etwas in unserem Leben nicht länger stimmt, wir etwas verändern müssen, wollen wir authentischer leben. Wenn wir einer solchen Sichtweise etwas abgewinnen können, werden wir die Depression nicht länger nur mit etwas Unangenehmem und Störendem verbinden, so sehr es weiter Mühe machen kann, so der Depressionsexperte Daniel Hell, „das zweckvolle Element einer Depression zu würdigen“.

 

Mut machen

Wenn ich dafür plädiere, die Erfahrung von Depression für uns zu nutzen, bin ich mir bewusst, dass es Depressionserfahrungen gibt, die so niederdrückend sind, dass es für den, der darunter leidet, unmöglich ist, darin einen Sinn zu sehen oder eine Botschaft zu entdecken. Es gilt bei Depressionen, zu unterscheiden „zwischen dem depressiven Grundmuster, das als Botschaft und als Schutzversuch angenommen werden kann, und einem schweren depressiven Leiden, das als Störung behandelt werden soll“ (Daniel Hell). Mir geht es darum, Mut zu machen, ohne dabei den Einzelnen überfordern zu wollen, offen dafür zu sein, in manchen Depressionen die Stimme unserer Seele zu hören, zumindest dem immer wieder auch eine Chance zu geben. Denn überhören wir die Botschaften, die uns über unsere Depressionen mitgeteilt werden sollen, können die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, meiner Erfahrung nach letztlich unerträglicher für uns und unser Leben sein als das Aushalten der Depressionen. Wenn ich hier von Depression und der Bereitschaft spreche, auf ihre Botschaften zu hören, dann gilt das vor allem für die leichteren und mittelschweren Formen von Depressionen und Erfahrungen von Dunkelheit. Bei schweren Depressionen ist ein solcher Dialog in der Regel nicht möglich. Hier steht die Linderung der Depression, sei es durch Psychopharmaka, psychiatrische oder psychotherapeutische Gespräche, im Vordergrund.

"So mag unsere Seele manchmal über die Depression signalisieren, dass wir etwas verändern müssen, wollen wir authentischer leben"

Aufruf zur Korrektur

Depressionen gehen oft mit Lebenskrisen einher. Wir kennen das zum Beispiel von der Krise in der Mitte des Lebens, wenn die Sonne unseres Lebens mit dem Abstieg begonnen hat. Der damit verbundene Abschied kann sehr schmerzvoll sein. Hier will die Depression uns oft sagen: So kann es in deinem Leben nicht mehr weitergehen. Die Depression kann dann als Aufruf verstanden werden, genauer auf unser Leben zu schauen und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen. Hier kann auch manchmal eine existenzielle Schuld Anlass für eine Depression sein. Man spricht von existenzieller Schuld, wenn ich nicht mein Leben lebe, die mir grundsätzlich gegebenen Möglichkeiten nicht nutze. Die existenzielle Schuld, die sich in einer Depression niederschlägt, kann sich so gesehen als „eine positive, konstruktive Kraft, ein Führer, der uns zu uns selbst zurückführt“ (Irvin B. Yalom) erweisen. Die mit existenzieller Schuld einhergehende Depression wird sich erst zurückziehen, wenn ich dem Ruf meines inneren Führers, zu mir selbst zu stehen, folge.

 

Depression will uns erden

Manchmal können Dunkle-Nacht-Erfahrungen, wie wir sie in einer Depression erleben, zum Ziel haben, uns zu erden. Ich erlebe das oft bei spirituellen Personen, bei kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die hohe Ideale haben oder alles hundertprozentig machen wollen. Die Depression mag sich einstellen, weil ihre Vorstellungen und Wünsche aufgrund der Gegebenheiten gar nicht erfüllt werden können und somit immer ein garstiger, unüberbrückbarer Graben bleibt zwischen dem, was sie wollen, und dem, was sie tatsächlich erreichen. Sie müssen erfahren, dass sich trotz zusätzlichem Mühen der pastorale Erfolg nicht einstellt. Wenn Seelsorger und Seelsorgerinnen eine Depression erfahren, sie die Lust und Freude an ihrer Arbeit verlieren, weil sie immer mehr den Eindruck gewinnen, erfolglos zu sein, kann ein Eingehen auf ihre Depression ihnen helfen, hellhöriger dafür zu werden, wo sie einfach überzogenen Vorstellungen von Seelsorge aufsitzen und die Depression sie dazu bringen möchte, die Realitäten ernster zu nehmen. Es liegt nicht oder zumindest nicht nur an ihnen, dass sie nicht den ersehnten Erfolg haben.
Die Depression will uns an unsere Menschlichkeit und Unzulänglichkeit erinnern. Hören wir auf das, was sie uns sagen möchte, werden wir vielleicht unter anderem als Antwort hören: Nimm dich nicht so wichtig. Du bist nicht für alles zuständig. Du machst Fehler und du darfst Fehler machen. Übersieh nicht das Gute und Schöne, das du jeden Tag tust.

 

Unerfüllte Wünsche

Bei manchen Seelsorgern meldet sich die Depression oder eine depressive Stimmung zu einer Zeit, in der sie eigentlich endlich Zeit für sich hätten. Sie spüren eine Leere in sich, fühlen sich einsam und können nicht länger ihre unerfüllten Wünsche, zum Beispiel nach menschlicher Nähe und Wärme, durch Arbeit zudecken. Hört der Seelsorger darauf, was seine depressive Stimmung oder Depression ihm sagen möchten, wird er unter anderem als Antwort hören: Vergiss nie, dass du aus dem gleichen Holz geschnitzt bist wie jeder andere Mensch, du wie jeder andere Mensch die Erfahrung von Zugehörigkeit und Liebe brauchst.
Das waren nur einige mögliche Botschaften, die uns manchmal Depressionen vermitteln möchten. Es gibt viele andere, die je nach Situation entsprechend ausfallen. Es ist nicht immer leicht, auf diese Weise Depressionen zu begegnen. Dennoch will ich Mut machen, wenn eine depressive Stimmung oder Depression in unserem Leben auftritt, sie nicht einfach nur als lästig zu erfahren, sondern in ihr eine Dame in Schwarz zu sehen, die uns etwas mitteilen möchte. Hören wir auf die Dame und ziehen wir die Konsequenzen aus ihren Botschaften, dann dürfen wir damit rechnen, dass die Dame sich von alleine zurückzieht.

 

Quelle: Anzeiger für die Seelsorge 2019, Heft 3, S. 14-16. Alle Rechte vorbehalten. Copyright © Verlag Herder, Freiburg. www.herder.de/afs

 


 

Wunibald Müller

Wunibald Müller

studierte Theologie und Psychologie. Langjähriger Leiter des Recollectiohauses der Abtei Münsterschwarzach. Bekannt wurde er als Autor zahlreicher Bücher und Beiträge zu Themen der Spiritualität und Psychotherapie. Wunibald Müller ist verheiratet und hat zwei Kinder.

 

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