Mag. Lukas Cioni
Redaktionsleiter / Chef vom Dienst
miteinander-Magazin
Stephansplatz 6
1010 Wien
Tel.: +43 1 516 11-1500
Sie haben eine neue Adresse? Schreiben Sie uns hier oder rufen uns unter DW 1504 an.
miteinander 3-4/2022
Schutzlos ausgeliefert
Von Wolfgang TREITLER
In den Jahren 1972–1974 durchlebte ich sexuellen Missbrauch im Stiftskonvikt Seitenstetten durch einen Hilfserzieher, einen ehemaligen belgischen Fremdenlegionär. Durch eine bis dahin unbekannte Qualität an vernichtenden Schlägen wurde ich – wörtlich – weich geprügelt, bis sexuelle Annäherungen und Übergriffe in steigender Intensität möglich wurden. Vor einem letzten Sexualakt bewahrten mich zwei Ereignisse: Gegen Ende 1974 hatte ich die Körperhöhe des Peinigers erreicht und war willens, ihn in einem Gewaltausbruch zu Boden zu bringen; das trat jedoch nicht mehr ein, weil er mit 1. Jänner 1975 als Hilfserzieher ersetzt wurde. Hilfe kam nicht. Der Haupterzieher wusste ein wenig davon, war ohnmächtig, tat nichts. Für den arroganten Konviktsdirektor waren wir eine lästige, stinkende Horde. Und das fromme Getue um Gott, Jesus und Maria, täglich mehrmals angesetzt, machte diese zu einem Trugbild im Jenseits. Man blieb schutzlos ausgeliefert und suchte nach innerem Entkommen. Das Theologiestudium war und ist eine Antwort darauf – gegen den lächerlichen und gefährlichen Gott jener Tage und gegen den auf ihn gestützten entwürdigenden Gehorsam, der nicht auf Kompetenz, sondern auf formale Gewalt setzt.
„Hilfe kam nicht. Der Haupterzieher wusste ein wenig davon, war ohnmächtig, tat nichts.“
Wolfgang Treitler
ist Professor für Fundamentaltheologie an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien.
Fingierte Ohnmacht
Von Lisa HUBER
Sehr jung durfte ich in der Kirche Verantwortung übernehmen: Als Vorsitzende der Katholischen Jungschar Südtirols war ich im Pastoralrat der Diözese und Mitglied unserer Diözesansynode. Überraschend wurde ich bei dem dreijährigen Prozess ins Präsidium gewählt; da war ich gerade 22 Jahre alt. Die Nähe zu kirchlichen Verantwortungsträgern – Bischöfen, Generalvikaren, Dienststellenleitern – hat in den letzten zehn Jahren nicht mehr abgenommen. Ich durfte beraten, mitreden, vorausdenken. Was all diesen Beratungsprozessen gemeinsam ist: Sie hinterlassen in mir Verletzungen und Frustration. Das Anliegen der Verantwortungsträger ist immer aufrichtig, doch sie sind meist nicht bereit, Konsequenzen zu ziehen. Das Fingieren von Ohnmacht („Das liegt nicht in unserer Hand“) verletzt mich am häufigsten. Nur jene, die in Machtpositionen sind, können nun mal Entscheidungen treffen, die für alle Relevanz haben. Angst, Ohnmachtsgefühl, Überforderung und fehlende Entscheidungskraft führen dazu, dass wichtige Fragen nicht bearbeitet werden. Dass ich als Frau keinen Zugang zu dieser Führungsriege habe, kränkt mich. Und auch da gibt es die Antwort der Bischöfe, dass sie es ja wohl wirklich nicht ändern könnten …
„Das Anliegen der Verantwortungsträger ist immer aufrichtig, doch sie sind meist nicht bereit, Konsequenzen zu ziehen. Das Fingieren von Ohnmacht verletzt mich am häufigsten“.
Lisa Huber
ist Leiterin des „Quo vadis?“ und Redaktionsmitglied des miteinander-Magazins.
Keine Luft zum Atmen
Von Simone SZTUBICS-MACHO
Schon interessant, wie eine Institution, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen auf ihrem Lebens- und Glaubensweg zu begleiten, ein Leben durcheinanderbringen kann. So erging es mir vor vier Jahren, als ich aufgrund meiner sexuellen Orientierung aus meiner Berufung – dem direkten Kontakt mit Menschen – herausgerissen und in den Innendienst versetzt wurde. Im ersten Moment hatte ich das Gefühl, als ob man mir die Luft zum Atmen nehmen würde, denn ich hatte und habe nichts Unrechtmäßiges getan, außer offiziell zu meiner Familie zu stehen. Gemäß unserer Bundesverfassung sind alle vor dem Gesetz gleich. Doch das Kirchenrecht ist nach wie vor ein anderes und wird sich wohl auch so schnell nicht ändern. Schade, da ich diese Kirche, in die ich hineingeboren wurde, trotz allem sehr schätze und mich in ihr beheimatet fühle. Nächstenliebe, Respekt, Toleranz – das gehört meiner Meinung nach tatsächlich gelebt. Die Zeichen der Zeit sollten neu gedeutet werden, in der Hoffnung, zum Auftakt des synodalen Prozesses, der uns derzeit kirchlicherseits beschäftigt, einen offeneren, neuen und zeitgemäßen Zugang zu dieser Thematik zu finden. Eben alles „Step by Step“ – oder „Alle Wege führen nach Rom“.
„Nächstenliebe, Respekt, Toleranz – das gehört meiner Meinung nach tatsächlich gelebt.“
Simone Sztubics-Macho
ist diplomierte Pastoralassistentin, Jugendleiterin und Religionspädagogin.