Mag. Lukas Cioni
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miteinander 3-4/2022
Berufungsgeschichten sind eine heikle Angelegenheit. Sie berühren den Bereich des Transzendenten, was ja mit Worten nicht ausreichend fassbar und außerdem kein Mainstream-Thema ist. Damit konfrontiert, reagieren Menschen nicht selten peinlich berührt, verlegen oder grob abweisend. Nur wenige verstehen. So macht man sich mitunter zum Narren. Alles das ist mir passiert. Und trotzdem müssen sie erzählt werden, weil es sie gibt und weil sie eine Welt in Erinnerung rufen, für die zwischen all den Schlagzeilen kaum Platz bleibt. Dies ist daher meine Berufungsgeschichte. Ein Versuch, eine Annäherung, eine Skizze. Morgen würde ich sie wieder anders schreiben.
Ich wuchs in einem katholischen Elternhaus in Oberösterreich auf. Eine Schwester meines Vaters war Borromäerin. Meine Schulzeit verbrachte ich in Ordensschulen. Mit 14 Jahren nahmen mich Schwestern mit nach Wien zu einer Ordensprofess, um mich auf den „Geschmack“ zu bringen. Ich kam nicht auf den Geschmack, nicht auf diesen. Das Ziel lag zu nahe – zunächst einmal: Freiheit!
Freiheit kosten
Ich wollte herausfinden, wie das Leben wirklich geht und entzog mich ein Stück weit dem Einfluss des Elternhauses, als ich nach der Lehrerausbildung meinen Dienst in einem kleinen Ort weit genug von daheim entfernt antrat. Ich reiste viel, arbeitete mich gut als Lehrerin ein und engagierte mich in verschiedenen Bereichen des Gemeindelebens. Ich hatte einen festen Freundeskreis und es gab vieles, das mich interessierte und mir Freude machte.
In diesen Jahren wurde ich erwachsen. Ich fand heraus, wie Leben geht, auch wenn mich vieles, das ich erlebte, ziemlich ernüchterte. Nicht mehr alles, was ich tat, war „katholisch“. Mein Gott, den ich in alle Situationen mit hineinnahm, wurde mir zwischendurch oft ziemlich schwer. Ich stritt und haderte, ich kämpfte mich an ihm ab, aber ich ließ ihn nicht los oder er mich nicht. Meinen Ort, „die Arche, von der aus alles andere möglich sein würde“, wie ich es in meinem Tagebuch festhielt, hatte ich mit Ende 20 noch nicht gefunden. Einmal im Supermarkt der plötzliche Gedanke: Eigentlich ist das, was du da tust, nur – vorläufig…
Sehnsucht und Krise
Verliebt war ich oft, einmal sehr, aber es blieb dabei. Der „Richtige“ würde schon noch kommen. Er kam und war es nicht. Der Psychoanalytiker Bert Hellinger sagt: Die Mitte fühlt sich leicht an. Wenn das stimmt, war ich nicht dort. Nix mit Freiheit. Eine ungeheure Sehnsucht nach „dem Ganzen, nach dem, was hinter all dem Vordergründigen liegt“ begann sich mit Vehemenz aus meinem tiefsten Inneren zu melden und ließ sich nicht mehr abschütteln. Sie stürzte mich in eine existenzielle Krise und hatte das schmerzhafte Ende meiner Beziehung zur Folge, bedeutete aber noch lange keinen Klostereintritt. Ja, ich hatte wieder begonnen, regelmäßig zu beten, besuchte Glaubensseminare, nahm an kontemplativen Exerzitien teil, engagierte mich in der Pfarre, aber ich fand, das musste reichen.
Natürlich reichte es nicht. Es ging ja um’s Ganze, nicht um’s Halbe. Es ging um meinen Gott und mich – und mein Gott wollte mich ganz. Meine Seele wusste es. Ich träumte, dass es einen Ort geben würde, an dem Er auf mich wartete. Aber wo? Mein Sabbatjahr, in dem ich mich dieser Frage stellen wollte, begann ich mit Einzelexerzitien für Ordensfrauen bei einem Priester aus meiner Pädak-Zeit. Er erkannte die Lage sofort und hatte die richtigen Worte für mich. Aus seinem Mund hörte sich ein Klostereintritt gar nicht mehr so fürchterlich an. Als er eher nebenbei den Karmel von Maria Jeutendorf erwähnte, den er für mich eigentlich nicht vorgesehen hatte, wurde ich hellhörig und recherchierte im Internet. Auf den Fotos wirkten die Ordensfrauen so überhaupt nicht weltfremd und eingesperrt. Ich fuhr hin. Noch einmal. Und noch einmal.
"Es gibt nichts zu beschönigen. Aber hier ist mein Ort und er wird es immer mehr."
Endlich angekommen
Im Jänner 2016 fiel meine Entscheidung für den Eintritt. Die große Freude darüber kann ich schwer beschreiben. Mein Lehrer und Begleiter in diesem wichtigen Jahr vor dem Eintritt erlebte meine Entscheidung nicht mehr mit. Er starb im November davor. Jetzt bin ich seit dem 4. Oktober 2016 im Karmel. Der Einstieg war hart. Es gibt nichts zu beschönigen. Aber hier ist mein Ort und er wird es immer mehr. Die Reise dauerte lang, war aber unumgänglich. Mein Gott hat so lange hier auf mich gewartet. Dafür bin ich sehr dankbar.
Erika Radner OCD
ist seit 2016 Ordensschwester und Novizin im Karmel von Maria Jeutendorf.