Eiskalt konserviert fürs nächste Leben
miteinander 11-12/2025
Schein und Sein könnten nicht größer sein: Rafz ist ein beschauliches Städtchen im Zürcher Unterland an der Grenze zu Deutschland. Alter Dorfkern, schöne Riegelhäuser, Weinbau. Idylle pur und doch ist Rafz gleichzeitig ein Ort, wo so etwas wie eine Startrampe ins ewige Leben stationiert ist. Viereinhalbtausend Einwohner leben in Rafz, aber es gibt auch Zuzug von Toten – nicht auf den Friedhof, sondern in vakuumisolierten und mit flüssigem Stickstoff gefüllten Edelstahltanks.
Diese Behälter sind der zentrale Teil des Angebots der Berliner Firma „Tomorrow Bio“. Das Geschäftsmodell des Unternehmens ist die Kryokonservierung von menschlichen Körpern, um sie für eine potenzielle Wiederbelebung in der Zukunft konserviert zu lagern. Konkret: Nach dem rechtlichen Tod eines Menschen wird dessen Körper bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff so lange aufbewahrt, bis die medizinischen Technologien so weit fortgeschritten sind, dass ein zweites, drittes, vielleicht einmal ein ewiges Leben möglich ist.
Unsicherheiten voll bewusst
„Wir setzen auf zukünftige Technologien. Ich möchte nicht, dass sich jemand für die Kryokonservierung entscheidet, ohne sich der damit verbundenen Unsicherheiten voll bewusst zu sein“, macht Emil Kendziorra, Mitbegründer und CEO von Tomorrow Bio, keine derzeit nicht beweisbaren Versprechungen. Was der deutsche Mediziner mit Expertise in der Krebsforschung und im Bereich Lebensverlängerung und sein Unternehmen aber anbieten, sei eine Chance auf die Zukunft.
Christian Tschiderer sagt „Wette“ dazu oder „Glücksvertrag“, das mit diesem Angebot verbundene Restrisiko ist dem Rechtsanwalt aus Reutte in Tirol aber bewusst: „Doch die Wahrscheinlichkeit auf ein zweites Leben ist damit sicher höher, als wenn ich mich nach meinem Tod verbrennen lasse.“ Tschiderer ist Mitglied von Tomorrow Bio, trägt einen Notfallpass samt Notrufnummer mit sich, damit die Kryo-Ambulanzen des Unternehmens im Fall eines schweren Unfalls, lebensbedrohender Krankheit oder seines Todes sofort ausrücken und mit lebensverlängernden Maßnahmen sowie fortschrittlicher Kühltechnik beginnen. Tschiderer war in Rafz, hat das Geschäftsmodell studiert; Tomorrow Bio und die dazugehörige Schweizer Stiftung nennt er seriöse Anbieter und der Forschungspfad von Kendziorra und seinem Team geht für ihn in die richtige Richtung.
„Unmöglich dulde ich nicht!“
Während in Rafz der idyllische Schein und das futuristische Sein auseinanderklaffen, erscheint Tschiderer völlig kongruent. In seinem Büro hängt das Bild von einem Neutronenstern; neben der Juristerei, die er in dritter Generation betreibt, sind Astronomie und Science-Fiction die Themen, die ihn von klein auf beschäftigte und die der Mitte Fünfzigjährige heute mit wissenschaftlicher Akribie betreibt.
„Das Wort ‚unmöglich‘ dulde ich nicht!“, bringt Tschiderer seine Weltsicht auf den Punkt. Heutige technologische und medizinische Schranken können in hundert, zweihundert Jahren längst überwunden sein, sagt er. Die Kryostase, so sein Gedanke, könnte ihm ermöglichen, sein Interesse an der Zukunft über den Tod hinaus zu stillen. Angst habe er keine, er glaube an das Gute im Menschen, sagt er: „Aber ob der gleiche Tschiderer irgendwann wieder aufgetaut wird, das weiß ich nicht – doch die Information meines Denkens muss irgendwo sein.“
Rechtsanwalt Christian Tschiderer
ist Mitglied beim Kryokonservierungs-Unternehmen Tomorrow Bio.