Mag. Lukas Cioni
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miteinander 9-10/2024
Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Diese Aussage hörten viele Buben in ihrer Kindheit. Dürfen Männer keinen Schmerz ertragen?
Doch, auch Männer erleiden natürlich Schmerzen und haben Gefühle, aber sie bemühen sich, sie zu kontrollieren. Männer stehen sehr oft in Konkurrenz zu anderen Männern. Würden sie Schwäche mitteilen, wären sie angreifbar. Deshalb sind Männer sehr oft stumm in Bezug auf Leid und Gefühle. Sie haben zwar Schmerzen, geben diese in einer Gruppe aber nicht zu, um nicht verletzlich zu sein.
Die Gesellschaft schreibt den Männern bestimmte Stereotypen wie Dominanz und Stärke zu. Sind Männer gefühllose Wesen oder zeigen sie ihre Gefühle in der Öffentlichkeit nur anders?
Nein, gefühllose Wesen sind Männer nicht. Sie unterscheiden sich hier auch nicht von Frauen. Wenn Männer Gefühle zeigen, dann oft nur gegenüber der Partnerin. Gegenüber anderen Personen, vor allem gegenüber Männern, fällt es vielen von ihnen schwer. Aber Gefühle brauchen wir zum Überleben, sie motivieren, informieren über unseren aktuellen Zustand und fördern Beziehungen. Für manche Männer wäre es wichtig, Gefühle als wertvolle Hinweise für die Lebensgestaltung aufzunehmen. Das macht das Leben erfüllter und gesünder.
Wie sieht es nach dem Verlust eines Menschen aus? Trauern Männer „anders“?
Jeder Mensch trauert anders und lernt in dieser Phase, die Verlusterfahrung in sein Leben zu integrieren, sein Leben neu – jetzt allein – aufzubauen, zu organisieren und nach vorne zu schauen. Das ist ein Prozess, den jeder – egal ob Mann oder Frau – nach einem Verlust durchmachen muss. Wer trauert, braucht aber Kontakt und Austausch. Denn Trauerende wollen nicht ignoriert werden. 60 Prozent der Menschen bewältigen die Trauer eingebunden in ihr alltägliches Netzwerk. Sie brauchen keine Unterstützung von außen. Für weitere 30 Prozent ist Beratung hilfreich und etwa zehn Prozent brauchen professionelle therapeutische Hilfe. Normal ist, dass man sich in der Trauerphase zurückzieht und eine Vielfalt an Gefühlen durchlebt: Neben der Trauer können das u. a. Zorn Wut, Verzweiflung, Sehnsucht, aber auch Erleichterung sein. Für viele Männer ist es erleichternd, sich in der Trauer zu bewegen oder tätig zu werden. Sie gehen spazieren, betreiben Sport, Hobbys.
„Für manche Männer wäre es wichtig, Gefühle als wertvolle Hinweise für die Lebensgestaltung aufzunehmen. Das macht das Leben erfüllter und gesünder.“
Sie schreiben, dass die Suizidrate bei getrennten oder geschiedenen Männern auf das Zehnfache ansteigt. Wie erklären Sie sich das?
Die Vereinsamung unter alleinstehenden Männern ist im Alter besonders groß. Dadurch steigt die Suizidrate. Wie schon gesagt, ist für viele Männer die eigene Partnerin die wichtigste Vertraute. In vielen Beziehungen ist die Partnerin auch die Person, die den Kontakt zur größeren Familie und zu den FreundInnen organisiert. Dazu kommt, dass sich Männerfreundschaften sehr oft über das gemeinsame Tun und weniger über Reden und den emotionalen Austausch definieren. Wenn nun die Partnerin stirbt, bricht für viele Männer das soziale Netz weg.
Erich Lehner
hat katholische Theologie, Psychologie und Pädagogik in Wien studiert und lehrte zu den Themen „Palliative Care“ und Hospizarbeit an den Universitäten Klagenfurt, Graz und Wien sowie im Ausland. Derzeit ist er Vorsitzender des Dachverbands der Männerarbeit in Österreich (DMÖ) sowie in der Männer- und Geschlechterforschung tätig. Als Psychoanalytiker arbeitet er in einer eigenen Praxis.
Erich Lehner: Ohne dich. Wenn Männer trauern. Tyrolia-Verlag: 2024, ISBN 978-3-7022-3965-7, € 17,95