Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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miteinander 9-10/2024
Es ist ein Solidaritätsort in Wiener Neustadt. Die Rede ist vom offenen Wohnzimmer, das sich in der Stiftspfarre Neukloster befindet und in Kooperation mit der Caritas eröffnet wurde. Jeden Mittwoch findet dort ein Frühstück mit Birgit, der Leiterin der Pfarrcaritas, statt, wo Begegnung, Austausch und gegenseitige Unterstützung passieren. Durch die Stärkung sozialer Netzwerke und durch gegenseitige Hilfe auf Augenhöhe sollen gesellschaftliche und persönliche Krisen gemeistert werden. Das Wohnzimmer funktioniert durch Beziehung, indem Menschen über das Frühstück oder andere Angebote in Kontakt kommen oder von Birgit in Kontakt gebracht werden. Was Birgit im offenen Wohnzimmer macht, ist sozialpastorale Arbeit. Sie ist Teil des pastoralen Personals. Aber auch die freiwillig Mitarbeitenden machen ein personales und pastorales Angebot, das sie zu einem Teil des pastoralen Personals macht. Die Trennlinie zwischen Hauptund Ehrenamtlichen, zwischen Theologen und Nicht-Theologen verschwimmt. Der Begriff des pastoralen Personals verflüssigt sich und wird uneindeutig. Pastorales Personal
ist inzwischen plural in seinem Handeln und seinen Berufsprofilen. Diese Uneindeutigkeit stellt unwillkürlich die Frage, was die spezifische und christliche Aufgabe von pastoralem Personal ist. Dazu braucht es einen kurzen theologischen Diskurs.
Auftrag von Kirche
Der genuine Auftrag von Kirche und somit auch von pastoralem Personal orientiert sich am Bild des christlichen Gottes, der Beziehung ist. Der dreifaltige Gott ist in sich selbst Beziehung und zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er in seiner selbstlosen Liebe aus sich heraustritt und mit Menschen und Welt in Beziehung tritt. Davon erzählt die Geschichte von Abraham, Isaak und Jakob, davon erzählen die Propheten und diese Geschichte konkretisiert sich auf einmalige Weise in der Menschwerdung Jesu. Der französische Theologe und Philosoph Jean-Luc Marion beschreibt und qualifiziert die Beziehung Gottes zur Welt, die sich radikal in der Menschwerdung Jesu zeigt, auf folgende Weise: In der sogenannten Kenosis, der Entäußerung und Entmächtigung Gottes in der Geburt Jesu als Kind, geht Gott als Folge und Ausdruck seiner selbstlosen Liebe das Risiko eigener Schwäche ein. Im eigenen Geben verzichtet er auf den Empfang einer Gegengabe. Sein Geben ist bedingungslos und erwartet keine Rendite seines Handelns. Dahinter stecken ein Beziehungsverständnis und eine existenzielle Logik, die davon
ausgehen, dass ich alles verliere, was ich nicht freigebe oder weggebe. Partnerschaften
funktionieren nur, wenn der oder die andere nicht kontrolliert wird, sondern man das Risiko des Vertrauens wagt. Kleinkinder können sich nur entwickeln, wenn die Mühe und Liebe, die sie erhalten, nicht auf Gegenleistung beruhen. In dieser paradoxalen Logik der freigebenden und riskierenden Schwäche zeigt sich Gott als nein schwacher, der die eigene Verletzlichkeit riskiert, um das Leben von Menschen stark zu machen und zu ermöglichen. Eine christliche Pastoral müsste sich an dieser Haltung und an diesem sich entäußernden Gott orientieren. Es wäre eine schwache Pastoral, die nicht Ansprüche über andere erhebt, die nicht über den Glauben und das Leben anderer verfügen kann, sondern da ist – ohne bestimmte Absicht.
Präsenz und Kontakt
Man könnte diese schwache Beziehung als Dasein beschreiben. Dasein ist die Zusage des Gottes Israels am Dornbusch: Ich werde da sein als der ich da sein werde. Da sein hat eine räumliche und eine zeitliche Dimension. Da sein ist eine Präsenz, die räumlich anwesend und zeitlich gegenwärtig ist. Welche Wirkung und welche Ausstrahlung diese Präsenz hat, hängt von der inneren Haltung ab. Die christliche Präsenzhaltung ist geprägt von der oben beschriebenen Botschaft einer schwachen Präsenz, die eine Zusage und einen Auftrag in sich trägt. Die Zusage christlicher Präsenz besteht aus einer bedingungslosen Anerkennung jedes Menschen, die die Würde eines jeden unbedingt erfahren lässt. Der sich darin findende Auftrag zeigt sich im solidarischen Einsatz für die Leidenden und im Besonderen für die sozial Schwächsten.
Diese bedingungslose und absichtslose Präsenz bleibt eine gut gemeinte Haltung, wenn sie nicht in Beziehung und nicht in Kontakt mit anderen tritt. Das Da-Sein bedarf
in seiner Präsenz einen offenen und ebenfalls bedingungslosen Kontakt. Dieser Kontakt eröffnet einen Raum zur Begegnung, der nicht vereinnahmt, sondern freigibt, aber nicht aufgibt. Das Da-Sein ermöglicht einen dreifachen Kontaktraum. Der erste Raum eröffnet einen Menschenkontakt, der stärkt und ohne Bedingung Menschen anerkennt. Der zweite Raum ist ein Gottesraum, der für die Zusage Gottes öffnet und schließlich bedarf es eines dritten Raums, der einen Kontakt nach innen zu sich selbst ermöglicht und der Raum für eine achtsame Aufmerksamkeit und einen reflektierten Kontakt bietet. Ein so verstandenes Da-Sein definiert sich über Präsenz und Kontakt.
Verantwortung für das Gemeinwohl
In dieser Haltung eines bedingungslosen Da-Seins, das sich in Präsenz und Kontakt
konkretisiert, zeigt sich Kirche als eine gastliche. Sie eröffnet aus diesem Da-Sein heraus Begegnungs- und Beziehungsräume, in denen sie da ist. Dabei zeigt sie sich nicht nur als Gastgeberin, sondern wird auch selbst zum Gast. Das Eigene stellt sie zur Verfügung und gibt es für andere frei. Eine gastliche Kirche denkt nicht mehr vom Zentrum her, sondern von den Menschen im Sozialraum. Sie dezentralisiert sich selbst als Partnerin unter anderen in der Verantwortung für das Gemeinwohl. Eine solche schwache Pastoral der Gastlichkeit kontrolliert den Raum nicht, sondern gibt ihn frei. Dazu braucht es allerdings beziehungsstarke Menschen, die bedingungslose Gastlichkeit als schwache Pastoral ermöglichen können. Es sind dann
nicht die gastlichen Konzepte, die ein absichtsloses Da-Sein ermöglichen, sondern pastorales Personal, das vertrauensvoll freigeben kann, ohne die Sorge und die Leidenschaft für die Menschen zu vergessen. Das offene Wohnzimmer braucht genau solche Menschen.
Dr. Bernd Hillebrand
ist seit März 2023 Universitätsprofessor am Institut für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.
Bernd Hillebrand: Kontakt und Präsenz. Grundhaltungen für pastorale Networker. Grünewald: 2020, ISBN: 978-3-7867-3220-4, € 50,00