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Kaum zu glauben!

„Wir brauchen eine aufsuchende Kirche“

Der deutsche Bestseller-Autor Erik Flügge sorgt sich um seine Kirche – und daher geht er zugleich hart mit ihr ins Gericht: Es mangle an Bekennertum und zu wenig weltoffenem Engagement.

 

Interview von Norbert OBERNDORFER |miteinander 11-12/2019

 Wenn es in der Kirche nur noch darum geht, Gremien zu füllen oder Blumenschmuck zu organisieren, dann wird Kirche scheitern.

 

Knapp zehn Prozent der Katholiken in Österreich besuchen im Advent einen Gottesdienst. Die Zah der regelmäßigen Messbesucher ist deutlich geringer. Hat der Glaube ein Kommunikationsproblem? Ob der Glaube nicht mehr kommunizierbar ist, kann ich nicht beantworten: Er wird ja gar nicht mehr kommuniziert. Was mir am Allermeisten auffällt, ist, wie wenige Glaubensbotschaften es in der Kirche gibt. Wir bekommen irgendwelche lapidaren Erzählungen in den Predigten, die davon berichten, was irgendjemand erlebt hat, wie man das jetzt einordnet und wie man den Alltag gestalten soll. Das hat alles immer den Charme einer „Lebenshilfe-Veranstaltung“. Es wird meistens mit hlfe einer Pseudophilosophie versucht, irgendetwas Kluges zu sagen. Ein selbst gesprochenes, echtes Glaubensbekenntnis – das erlebe ich nur mehr ganz selten.

Aber ist die Tatsache des nachlassenden Gottesdienstbesuchs nicht ein Signal, dass die Kirche etwas verschlafen hat?  Haben wir tatsächlich etwas verschlafen oder sind diese Realität und unsere Erwartungshaltung, dass jeden Sonntag jemand kommt, ein dysfunktionales Konzept, das nicht mehr dem Leben der Menschen entspricht? Vielleicht ist unser Anspruch zu hoch, vielleicht reichen sechs Mal Gottesdienst im Jahr auch?

 

Müssen sich die Kirchen am Ende also „neu erfinden“, um neuen Zulauf zu finden? Ich glaube, dass das Modell „Kirchengemeinde“ langsam an sein Ende kommt. Es basiert im Kern darauf, dass es Angebote in einem Gebäude gibt, mit der Hoffnung, dass jemand kommt. Aber immer weniger kommen. Das ist eine Art zu denken, die in den 50ern und 60ern einen richtigen Boom hatte, als sich die Leute stark in solchen Vergemeinschaftungsformen wiedergefunden haben. In der Zeit entstand dieses Konstrukt der „Kirchengemeinde“, wie wir es heute kennen. Dagegen müsste man – um erfolgreich zu sein – dieses Prinzip umkehren.

 

Was heißt das konkret? Menschen fangen an Kontakt aufzunehmen. Sie sammeln zum Beispiel E-Mail-Adressen, schreiben Nachrichten, gehen auf Haustürmission, klingeln an Türen und stellen sich vor, um den ersten Kontakt herzustellen. Sie drehen das Prinzip um: Vom „Angebot erstellen und abwarten, ob jemand kommt“ zu Dialogorientierung und zum Aufbruch. Niemand entwickelt den christlichen Glauben aus sich selbst und beziehungslos heraus. Ohne emotionalen Kontakt kann keine Bindung entstehen. Es geht um viele kleine Schanierstellen, an die man ausgehend von emotionalen Bindungen denken muss, und nicht um irgendwelche organisatorischen Abläufe. Wir brauchen eine ganz andere Kontaktlogik.

 

In Ihren Büchern gehen Sie mit den Kirchen und ihrem Leitungspersonal hart ins Gericht. Ist wirklich alles so daneben? Nein, natürlich nicht. Darum geht es auch nicht. Aber wir haben in vielen Gemeinden festgefahrene Traditionen, die selbst für diejenigen, die daran teilhaben, nicht mehr gut sind. Es wird an den zehn Prozent wirklich aktiv engagierten Christen in den Gemeinden liegen: Wenn wir eine lebendigere Kirche wollen, eine, in der mehr Glauben und religiöses Leben da ist, dann wird es an diesen Engagierten liegen, etwas zu ändern. Wenn es aber nur noch darum geht, Gremien zu füllen oder den Blumenschmuck zu organisieren, dann wird Kirche scheitern.

 

Zum kirchlichen „Markenkern“ gehören Glaube, Liebe und Hoffnung. Wie könnte man positiv und neu daran anknüpfen? Die gesamte christliche Botschaft wendet sich gegen drei Arten von Bedürftigkeit: den physischen Hunger, die materielle Armut und die geistige Not. Aber kann ich diesen Hunger in Kirchen wirklich stillen? Anders gesagt: Müssten die Kirchengemeinden nicht wieder viel mehr in die aktive Caritas-Arbeit einsteigen und sie nicht mehr an große Organisationen delegieren, die dann als Hilfswerke fungieren? Ich bin also dafür, dass wir diese Kirche umbauen: Wir brauchen dringend eine aufsuchende Kirche. Es ist von jemandem in Not zu viel verlangt, dass er den ersten Schritt macht. Die Erfolgsgeschichten der Bibel basieren alle auf der Bewegung des Helfenden hin zu dem, der Hilfe sucht. Jesus geht zum Zöllner, Paulus reist in die Gemeinden oder schreibt ihnen Briefe. Es ist immer mehr das proaktive Zugehen, als zu sagen: „Wir haben hier ein Angebot, ihr könnt ja kommen.“

 

 

 

Erik Flügge (33) ist ein deutscher Politikberater und Autor. Der studierte Germanist und Politikwissenschaftler berät seither Spitzenpolitiker und Parteien sowie u. a. Kirchen und Verbände bei der Kommunikation. Mit seinen Büchern Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt und Eine Kirche für viele statt heiligem Rest landete der Katholik Bestseller.

 

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