Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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Es ist Ende Juli. Ein paar vereinzelte Quellwolken dümpeln am ansonsten stahlblauen Himmel. Ich lasse meinen Blick über das dunkle Wasser des Kraiger Sees schweifen. Ein kleiner, familiärer See in Kärnten. Von unten wärmt das Holz des Steges, von darunter spritzen mich ein paar Kinder mit Wasser an. Doch meine Aufmerksamkeit gilt etwas anderem – einem Mädchen, nein, einer jungen Frau auf einer Luftmatratze, die wenige Meter vor mir durch das Wasser gleitet. Seit einigen Tagen beobachte ich sie schon. Sie wohnt in derselben Bauernhofpension, blinzelt mich hin und wieder an. Oder bilde ich mir das nur ein? Jetzt wird sie in eine Wasserschlacht verwickelt. Ich nutze die Gelegenheit, springe ebenfalls ins Wasser – und stelle fest, dass ich kläglich daran scheitere, sie unterzutauchen. Ihr siegreiches Lächeln versetzt mir einen Stich. Und es weckt meinen Ehrgeiz.
„Es braucht Sehnsuchtsorte in Biografien und Partnerschaften. Orte, an denen das eigene Leben sich ‚ganz‘ anfühlt, wo die eigene Geschichte nicht in der Flut der Zeitläufte untergeht.“
Das war 1995. Damals wurden wir ein Paar. Und seither hat dieser Ort, dieser See eine besondere Bedeutung für uns. Jahr für Jahr haben wir uns in den ersten Jahren unserer Beziehung, die anfangs eine Fernbeziehung war, dort getroffen, haben gemeinsame Urlaube dort verbracht. Inzwischen auch mit unseren Kindern. Vor 20 Jahren haben wir dort geheiratet. Und immer stand der See, stand das Wasser im Mittelpunkt, auf dem wir gemeinsam herumpaddelten, an dem wir lagen und uns unterhielten, in den wir hineinsprangen, in dem ich gurgelnd und glucksend gegen das schwimmerische Talent meiner Frau ankämpfte.
Das mag kitschig klingen, nostalgisch verklärt. Aber ich bin davon überzeugt, dass es solche Sehnsuchtsorte braucht in Biografien und Partnerschaften. Orte, an denen das eigene Leben sich „ganz“ anfühlt, wo man ganz bei sich war und sein darf. Wo die eigene Geschichte nicht in der Flut der Zeitläufte untergeht, sondern wo man selber Geschichte gemacht hat. Wo man miteinander einen Ur-Sprung erlebt hat. Einen Ur-Sprung wie jenen ins Wasser, wo diese noch fremde, heute so vertraute Frau wartete. Um mich unterzutauchen.
Heute liege ich erneut auf dem Steg. Auch wenn familiäre Urlaube inzwischen andere Orte, andere Länder, andere Gewässer einfordern, so zieht es uns doch immer wieder an den Kraiger See. Die Kinder rollen dann meist schon mit den Augen, wenn wir auf „unseren“ Steg gehen, die Hand durchs Wasser ziehen, ein Selfie miteinander machen. Mama, Papa – „p“ wie peinlich… Aber hier war es. Dieses Wasser birgt unsere Geschichte. Und irgendwann, das gelobe ich mir Jahr für Jahr, werde ich mich rächen und sie untertauchen. Und vermutlich wieder daran scheitern.
miteinander-Chefredakteur Dr. Henning Klingen