Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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miteinander 7-8/2024
Über Wasser zu predigen, hat keinen guten Ruf. Postwendend taucht der Vorwurf auf: „… aber selber Wein trinken“. Doch an eine Wasserpredigt muss ich regelmäßig denken, wenn mir bei einer Wanderung oder Bergtour unser alpiner Wasserreichtum wieder einmal besonders üppig entgegenschießt und -fließt.
Es war Ende der 1970er-Jahre, an Klimawandel, Gletscherschmelze, Wassermangel und Dürre dachte niemand, da predigte ein Kooperator in meiner Heimatpfarre über eine Abordnung aus einem arabischen Land, die die Krimmler Wasserfälle besuchte. Das Bild der Scheichs in
ihren bodenlangen blütenweißen Dishdashas vor dem spritzenden, schäumenden, tosenden Naturdenkmal ein paar Kilometer weiter von uns den Oberpinzgau hinauf hat mich fasziniert. Die Scheichs staunten eine Zeit lang über die Wasserspiele, erzählte der Kooperator am Ambo, bis sie zu unseren Krimmler Nachbarn sagten: „Danke, es ist wunderschön, aber Sie können das Wasser jetzt wieder abdrehen!“
Die Pointe war gut gesetzt, ein, zwei Sekunden nach dem Überraschungsmoment begannen die Kirchenbesucher zu schmunzeln und mit Kopfbewegungen ihre Verwunderung über die Araber zu zeigen. Ich weiß jetzt nicht mehr, wohin die theologische Kurve diese Predigt führte, vielleicht in welch reich gesegneter Gegend wir daheim sind oder es lief auf die Gnadenfülle, die nicht abzudrehen ist, hinaus… Egal, beides stimmt. Aber auch die Araber hatten recht, als sie nach der Stopptaste fragten. Dass der Wassersegen keine Selbstverständlichkeit und
nicht unbegrenzt verfügbar ist, wissen wir mittlerweile. Dass auf unseren Wasserschatz aufgepasst, sorgsam und sparsam damit umgegangen gehört, predigt uns jeden Tag mehrmals die kleine Spültaste am WC.
Eine Predigt darüber, was der echte Schatz ist, erhielt ich auch im vorigen Sommer: Ich kam auf der Schweizer Seite des Piz Buin, des höchsten Bergs in Vorarlberg, herunter und wollte auf den höchsten Berg der Silvretta, den Piz Linard, hinauf. Dazwischen liegt das Unterengadiner Dorf Lavin. Eine junge Mutter schob ihren Kinderwagen über das Kopfsteinpflaster.
Ich fragte sie nach einem Bankomaten. Die Frau schüttelte den Kopf: „So etwas haben wir nicht, aber bei uns gibt es einen Dorfbrunnen – und das Wasser ist gratis!“
Wolfgang Machreich
ist freier Journalist, Autor und Redaktionsmitglied des miteinander-Magazins.