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Nachtlicht in der Dunkelkammer

Editorial aus dem "miteinander" | Ausgabe 3-4 / 2024 - Von Chefredakteur Henning KLINGEN

 

Tiefe Nachtschwärze. Keine Straßenlaterne, nur das fahle Mondlicht, das durch die Fenster dringt und die Schatten des nahen Waldes ins Zimmer fallen lässt. Das waren die ersten Erfahrungen des Landlebens, als wir vor über zehn Jahren aus der Stadt in den Wienerwald zogen. Anfänglich empfand ich die Dunkelheit als bedrohlich. Sie weckte tief sitzende Ängste aus Kindertagen. Ängste vor dunklen Zimmerecken, in denen Ungeheuer oder zumindest ein Wolf wartete. Inzwischen weiß ich: Je dunkler die Nacht, desto heller leuchtet der bestirnte, bergende Himmel. Auch das Gegenteil – die Angst vor Helligkeit – kenne ich aus Kindertagen: In meiner Schule gab es einen kleinen Raum gleich neben der Teeküche für die Oberstufe. Eine Dunkelkammer. Nur wer die nachmittägliche „AG Fotografie“ belegte, löste damit zugleich eine Eintrittskarte in diese seltsam lichtscheue Welt schummriger Rottöne. Eine Welt, die nach Chemikalien roch und in der nichts so gefürchtet war wie eine unvorsichtig geöffnete Tür und der Einfall von Tageslicht. Auch hier galt: Wer sehen will, braucht die Dunkelheit.

 

Zwei Beispiele für den Reiz des Lichtlosen. Dagegen ruft heute alles nach Helligkeit, nach Durchleuchtung und Transparenz – nicht umsonst heißt Aufklärung auf Englisch „enlightenment“, trägt sie doch das Versprechen der Erhellung der Dunkelkammern des Verstandes und der Seele in sich. Gewiss, das Zwielicht kann Täter schützen, Taten verdunkeln. Man denke an das Thema Missbrauch, wo man keine Dunkelheit und Intransparenz dulden darf. Auch Jesus steht unzweifelhaft auf der Seite des Lichts, wenn es im Neuen Testament heißt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12). Doch das Plädoyer für ungebremste Lichtdurchflutung übersieht, dass wir Christen per se Menschen des Zwielichts sind. Wir haben faktisch alle unsere dunklen Seiten und wissen, dass Verletzungen, Konflikte, Schuld und Sünde zum Leben gehören. Ein Leben im Windschatten der göttlichen Heilszusage. In der Wartehalle des Reiches Gottes, das zwar schon wie ein Frühlingsmorgen seinen Glanz in unsere Welt scheinen lässt, jedoch begleitet von langen Schatten der ausgehenden Nacht.

 

Meine Kinder mögen übrigens weder Finsternis noch das Zwielicht. Und so sind unsere Flure mit Nachlichtern gepflastert, die im Alptraumfall den Weg ins elterliche Schlafzimmer leuchten – und dabei zugleich die vorbeitigernden Katzen übergroß und angsteinflößend an die Wände projizieren. Wo viel Licht, da viel Schatten.


miteinander-Chefredakteur Dr. Henning Klingen

miteinander-Chefredakteur Dr. Henning Klingen

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