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Der Mann, der mit Licht malt

Lichtkünstler James Turell

Lichtkünstler James Turrell entwirft Räume, die direkt in den Himmel reichen – weit weg von Hektik und Betriebsamkeit. Von Ines SCHABERGER

miteinander 3-4/2024

miteinander-Magazin 3-4/24

Als der Wecker klingelt, ist es draußen noch dunkel. Ich verlasse das Hotelzimmer und starte
meine morgendliche Wanderung von Oberlech am Arlberg aus. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit und ich erkenne weit oben in der Ferne bereits mein Ziel, den Skyspace Lech (dt.: Himmelsraum).

 

Durch einen Korridor, der mich an einen Geburtskanal erinnert, betrete ich den Betonbau. Ich lasse mich auf der runden Sitzbank an der Wand nieder und blicke nach oben. Der Raum wirkt schwarz, die Kuppel leuchtet rot. Dunkelviolett, pink, petrol – stetig verändern sich die Farben, während es langsam dämmert. Dann öffnet sich die Kuppel. Am blauen Himmel fliegt eine Federwolke vorbei. Das Licht vertreibt die Dunkelheit immer mehr. Kaum je zuvor habe ich den Himmel und seine Farben so intensiv wahrgenommen. Mit dem Sonnenaufgang endet das 50-minütige spirituelle Erlebnis. Es fühlte sich kürzerund gleichzeitig länger an. Und ich frage mich: Wer ist der Mann, der so mitdem Licht malen kann?

 

Ein Kind des Lichts

James Turrell wurde 1943 in Los Angeles geboren. Ausflüge in die Einsamkeit der Wüste Kaliforniens und Arizonas prägten ihn. Als die USA Angst vor Luftangriffen hatten und Fenster mit dunkler Folie ausgekleidet werden mussten, piekste er kleine Löcher hinein, um die Sternbilder in sein Kinderzimmer zu bringen. „Ich wollte Licht nicht nur wiedergeben wie bei Film oder Fotografie, sondern mit dem Licht selbst arbeiten“, sagte Turrell kürzlich in einer Filmdokumentation. Der Lichtkünstler berechnet seine Werke akribisch und bezieht sich dabei auf Physik, Mathematik und Astronomie, erklärt mir Galerist Wolfgang Häusler, der James Turrell seit 32 Jahren kennt.

 

Religiös ist Turrell von den Quäkern geprägt, einer Gruppe mit verschiedenen Strömungen, die im England der 1650er entstand. Verbindend ist die Überzeugung, dass in jedem Menschen das Licht Gottes wohnt. Daher erhalten das menschliche Gewissen sowie die Würde der einzelnen Person eine große Priorität. „Licht ist Nahrungsmittel und Leben. Quäker suchen nach dem inneren Licht in sich selbst“, sagt Häusler.

 

Um etwas wahrnehmen zu können, müssen Menschen einen Weg gehen. Davon sei James Turrell überzeugt und versuche deshalb seine Werke weg von hektischen Orten zu bringen, erklärt Häusler. „Er sucht die Ruhe, Besinnlichkeit und Kontemplation“, so der Galerist. Er erlebe den Quäker als sehr spirituellen Menschen. Die Texte des Mystikers Meister Eckhard kenne er beispielsweise genau, sie begleiten und beschäftigen ihn ein ganzes Leben lang.

 

Eine Kapelle aus Licht

In jungen Jahren machte Turrell erstmals die Erfahrung eines sogenannten Ganzfeldes: Als Pilot flog er in eine Wolke und nahm keine Grenzen mehr wahr. Diesen Effekt bringt er mit seinen Installationen auf die Erde, zum Beispiel in einer Kapelle im 2022 wiedereröffneten Diözesanmuseum Freising bei München.

 

Ich betrete die Kapelle und finde mich in einem Raum aus Licht wieder. Ein bisschen verliere ich die Orientierung. Erst als ich mich umdrehe und zurück zum bogenförmigen Eingang blicke, weiß ich wieder, wo ich bin. Knallgrün erscheint der Raum, hellgelb die zylindrische Öffnung an der Vorderseite der Kapelle, blassgrün die Farbfläche dahinter. Wie schon beim Skyspace verändern sich die Farben so graduell, dass mir nicht klar ist, wann ich die neue Farbe wahrnehme. Als Betrachterin werde ich Teil des Kunstwerks.

 

Ohne Schatten

Es ist das Licht, das die zentrale Rolle im Werk von James Turrell spielt. Schatten gehört nicht dazu. „Schatten ist Räumlichkeit. James Turrell sucht jedoch das Unendliche, das gibt es nur ohne Schatten“, sagt Galerist Wolfgang Häusler. Mit Dunkelheit experimentiert er jedoch sehr gern, wie in der Werkserie dark space. Häusler beschreibt, was er erlebte: „Ich ging in einen Raum, der total dunkel war. Mit der Zeit entwickelte sich aus der Dunkelheit heraus ein Sehen. Später hatte ich das Gefühl, ich sehe ein Licht.“ Wie er später erfuhr, gab es keine Lichtquelle, sondern weiße Farbe, die mit einem Pinsel auf die schwarze Wand gemalt worden war. „Aber das Auge nahm dies mit der Zeit wahr und imaginierte das Licht.“ Ein ähnlicher Effekt, wie wenn man die Augen schließt oder reibt und eine Farbe vor Augen hat.

 

Seine Lichtkunst fasziniert weltweit. Skyspaces stehen etwa in den USA, in Jerusalem und Japan. Zwei werden gerade in Korea gebaut. In Österreich gibt es neben dem 2018 eröffneten Skyspace Lech den älteren und einfacheren Skyspace „the other horizon“ in der MAK-Expositur im Geymüllerschlössel Wien (2004) sowie den „blue perl“ Skyspace in Salzburg (2006).

Sein größtes Kunstwerk, der Roden Crater, ist noch nicht vollendet. Seit fast 40 Jahren gestaltet James Turrell einen erloschenen Vulkan in der kargen Wüste Arizonas um, ein langwieriges und kostspieliges Projekt.

 

Mit seiner Kapelle aus Licht oder seinen Skyspaces an abgelegenen Orten ermöglicht James Turrell Momente voller Innerlichkeit – nicht nur für religiöse Menschen, sondern für alle, die sich vom Licht berühren lassen möchten.

 


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Ines Schaberger

hat Religionspädagogik und Theologie in Wien, Fribourg und Chur studiert. Die Journalistin ist Gastgeberin des Fadegrad-Podcast, Wort zum Sonntag-Sprecherin im Schweizer Fernsehen und miteinander-Redaktionsmitglied. Sie liebt Berge, Kaffeehäuser und Fragen-Stellen. 

 

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