Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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miteinander 1-2/2024
Ich bin nicht geduldig. Am liebsten würde ich Wartezeiten verkürzen, Behörden beschleunigen und rote Ampeln auf Grün schalten. Klingt nach der perfekten Versuchsperson für dieses Selbstexperiment. Geduldiger werden in zehn Tagen, das sollte doch zu schaffen sein, oder? In Gedanken bin ich meist bei dem, was war oder was ansteht, aber selten im jeweiligen Moment. Das will ich ändern.
Mein Tagebuch mit dem klingenden Titel Nimm dir Zeit stellt mir jeden Tag eine Frage. Heute will es wissen, was mein Ziel für diesen Tag sei. „Geduldiger werden“, schreibe ich. Was sonst? Wer weiß, vielleicht geht es sogar in einem Tag statt in zehn?
Tag 1: Motivierter Beginn
Yoga soll dabei helfen, zu entschleunigen. Eine App am Smartphone zeigt mir, wie. Ich kann auswählen, wie lange die Einheit dauern soll: Zehn Minuten muss reichen für den Beginn. Die Yoga-Instrukteurin wirkt gehetzt und alles andere als geduldig. Das Training ist schnell rum, ohne wirklichen Erfolg. Weiter geht es mit einer Meditationsübung in derselben App. „Da, wo du gerade bist, bist du richtig“, bestärkt mich die Meditations-Lehrerin. Naja, ich wäre aber gern schon woanders: an einem geduldigeren Fleckchen, zum Beispiel. Während der fünfminutigen Meditation denke ich an die nächste Arbeitswoche. Zum Abschluss noch ein rasches Gebet: „Lieber Gott, gib mir Geduld, und zwar schnell!“
Tag 2–4: Der Tiefpunkt
Weder Zeit für Übungen noch Geduld. Das Selbstexperiment steht kurz vor dem Abbruch.
Tag 5: Gebet der Gelassenheit
Ich beginne wieder mit Yoga. Dieses Mal wähle ich ein 20-minütiges Video statt der zehn Minuten. Nun wirkt die Yoga-Lehrerin doppelt so entspannt. Zwischen herabschauendem Hund, Taube und Eidechse habe ich zur Abwechslung keine Zeit, ungeduldig an anderes zu denken. Ich bin so beschäftigt, diese Yoga-Übungen nachzumachen und dabei weiterzuatmen, dass ich ganz im Moment bin. Auch für das Gebet nehme ich mir heute etwas mehr Zeit: „Gott, schenke mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Schenke mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Schenke mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden“, flüstere ich beim Spazierengehen. Da stolpere ich über eine Kastanie. Und merke, dass ich wohl ein bisschen langsamer und geduldiger gehen muss, um langfristig vorwärtszukommen.
Tag 6–10: Langsam, aber stetig
Meine neue Yoga-Routine behalte ich und baue sie auf jeweils 30 Minuten aus. Während die Übungen fordern, tut mir der Fokus auf den Atem gut. Meditation lasse ich weg, das mit dem Stillsitzen klappt bei mir noch nicht. Zwei Tage lang gehe ich mit Freundinnen pilgern. Pilgern ist beten mit den Füßen, heißt es. Für mich ist es auch eine Lebensschule: Wir setzen einen Schritt nach dem anderen. In einem Tempo, bei dem alle aus der Gruppe mitkommen. Beim Pilgern kann ich nichts beschleunigen. Mein Smartphone ist weit weg. Meine Gedanken sind dafür ganz nah.
Fazit
Die zehn Tage ließen mich spüren, was es bedeutet, den Augenblick zu leben, ohne ständig das Zukünftige herbeizusehen oder zu fürchten. Es war wohl ein Ausdruck meiner Ungeduld, ernsthaft zu meinen, dass diese innere Haltung in zehn Tagen erlernbar sei. Geduld ist eher ein Lebensprojekt. Das Selbstexperiment wird also fortgeführt.
Ines Schaberger
hat Religionspädagogik und Theologie in Wien, Fribourg und Chur studiert. Die Journalistin ist Gastgeberin des Fadegrad-Podcasts, Wort zum Sonntag-Sprecherin im Schweizer Fernsehen und miteinander-Redaktionsmitglied. Sie liebt Berge, Kaffeehäuser und Fragen-Stellen.