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Zwischen gefühlter und tatsächlicher Ohnmacht

Interview mit Ordensfrau und Autorin Sr. Melanie Wolfers

Warum es hilfreich sein kann, sich zu fragen, ob man in einer Krise Gestaltungsspielräume hat, und welche Kraftquellen es in Ohnmachtssituationen gibt, erläutert die Ordensfrau und Autorin Melanie Wolfers. Das Interview führte Elisabeth GRABNER

miteinander 11-12/2023

miteinander-Magazin 11-12/23

Wir leben in einer Vielfachkrise: Pandemiefolgen, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Teuerung, Klimawandel. Was raten Sie jemandem, der sich angesichts dessen hoffnungslos ohnmächtig fühlt?

Diese Frage wurde mir in den vergangenen Jahren oft gestellt – insbesondere von jungen Erwachsenen, die mit Sorge in die Zukunft schauen und daran zweifeln, in den Krisen unserer Welt etwas bewegen zu können. Einer der großen Aha-Momente beim Schreiben meines Buches war die Einsicht: Wir sind nicht ohnmächtig angesichts der Krisen. Vielmehr zeigt die Geschichte: Es kommt zu einem gesellschaftlichen Fortschritt vor allem immer dann, wenn viele Leute viele Schritte gehen und irgendwann gemeinsam etwas erreichen. Und was in der Vergangenheit so zahlreich passiert ist, kann auch heute möglich werden. Auch ganz konkret im Blick auf die Klimakrise. Jede einzelne Person kann andere beeinflussen, sodass wir die Welt gemeinsam verändern. Gemeinsam können wir Entwicklungen lostreten, die wir uns niemals hätten träumen lassen.

 

Ohnmachtsgefühle erleben wir beruflich wie privat. Welche Ohnmachtserfahrungen gehören zum Leben und wo könnte es sich lohnen, dagegen anzukämpfen?

Diese Unterscheidung ist mir sehr wichtig: Auf der einen Seite gehören Erfahrungen von Hilflosigkeit und Kontrollverlust unausweichlich zu unserem Leben. Etwa im zwischenmenschlichen Bereich oder im Umgang mit dem eigenen Körper. Auf der anderen Seite gibt es Ohnmachtserfahrungen, die nicht sein müssten und vor allem auch nicht sein dürfen! Nämlich dann, wenn an ihrer Wurzel Machtmissbrauch oder Gewalt, Abhängigkeit, rechtliche Benachteiligung oder strukturelles Unrecht stehen. Einzelpersonen, aber auch ganze gesellschaftliche Gruppen oder Nationen können davon betroffen sein. Und hier gilt es, aufzustehen und sich für Gerechtigkeit und ein selbstbestimmtes Leben der Betroffenen einzusetzen.

 

Warum plädieren Sie dafür, zwischen einer gefühlten und einer tatsächlichen Ohnmacht zu unterscheiden?

Sich ohnmächtig und hilflos zu fühlen, heißt noch lange nicht, auch tatsächlich ohnmächtig und hilflos zu sein! Es gibt viele Menschen, die – auch geprägt durch Veranlagung, Sozialisation und Lebensgeschichte – zu schnell aufgeben. Und dahin tendieren, sich in der Opferrolle einzurichten. Insbesondere in Beziehungen kommt es vor, dass manche sich zu früh hilflos fühlen. Sie halten sich für schwach und machtlos, ohne es in Wahrheit zu sein. Deswegen ist es wichtig, sich zu fragen: Bin ich tatsächlich so schwach und ohnmächtig, wie ich mich gerade fühle, oder habe ich Gestaltungsspielräume? Anders gesagt: Glaub nicht alles, was du fühlst, sondern mach einen Realitäts-Check.

 

Wir sind regelrechte Meister, wenn es darum geht, das Leben unter Aspekten des Scheiterns wahrzunehmen. Manchmal hat man den Eindruck, als sei früher alles besser gewesen. Fakten sprechen jedoch eine andere Sprache.

IIn der Tat! Hans Rosling, Professor für Internationale Gesundheit in Stockholm, hat gemeinsam mit seinem Team den sogenannten Gapminder-Test entwickelt. Dieser enthält 13 Fragen zum gesellschaftlichen und gesundheitlichen Fortschritt in der Welt und jeweils drei Antwortmöglichkeiten. Das Quiz will dazu anleiten, den eigenen Eindruck der Welt zu hinterfragen und Fakten sprechen zu lassen. Und diese Fakten sind erstaunlich gut! Die positiven Errungenschaften der Menschheit könnten uns zuversichtlich stimmen. Doch dummerweise wissen die meisten Menschen nichts davon. Und das ist fatal. Denn wenn wir glauben, dass alles schlechter und schlechter wird, schwächt dies unsere Motivation, uns für eine Verbesserung der Situation einzusetzen. Und so besteht die Gefahr, dass die negative, verzerrte Weltsicht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Kurz gesagt: Wir wissen zu wenig, um uns dem Schwergewicht des Pessimismus überlassen zu dürfen.

 

Wir stehen unter ständigem Optimierungsdruck, der in Depression, Burn-out und Erschöpfung enden kann. Wie kann man aus diesem Kreislauf aussteigen?

Der Druck „Optimiere dich, denn die Möglichkeiten sind da!“ prägt unsere Gesellschaft. Daher braucht es zum einen ein Umdenken in unserer Gesellschaft, etwa im Arbeitsleben, in der Freizeitindustrie und in den Social Media. Zum anderen ist auch jede Person selbst dafür verantwortlich, dass sie die eigenen Kraftquellen kennt und aufsucht. Oder dass sie sich um einen einigermaßen ausgewogenen Lebensrhythmus bemüht.

 

Sie weisen in Ihrem Buch darauf hin, dass wir lernen müssen, mit der Ohnmacht zu leben. Gleichzeitig verweisen Sie auf die Kraft in uns. Was sind Ressourcen im Umgang mit Ohnmachtsgefühlen?

Im zweiten Hauptteil meines Buches entfalte ich sieben Kräfte, die uns in der Not tragen und positive Energie freisetzen. Diese sieben Kräfte sind: Dankbarkeit, Freude, Vertrauen, Verzeihen, Zuversicht, Ins-handeln-Kommen und Innehalten. Das Schöne ist: Alle Menschen können diese Energien entdecken, entfalten und weitergeben. Denn es handelt sich nicht um Eigenschaften, die wir haben, sondern um Haltungen, die wir uns aneignen können. Und wie das geht, dazu gebe ich ganz viele konkrete Hinweise und Übungen.

 

Wie hilfreich kann der Glaube für das Entwickeln von Vertrauen und als Ressource gegen Überforderung und Hilflosigkeit sein?

Kaum etwas spendet mehr Vertrauen und stiftet so viel Sinn und Halt wie Spiritualität und Glaube! Viele erfahren eine spirituell geübte Aufmerksamkeit als Kraftquelle. Insbesondere in Krisenzeiten erleben sie es als heilsam, sich immer wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren: den Duft eines geliebten Menschen einzuatmen, die Sterne zu betrachten, in die Stille einzutauchen. Und wer präsent ist, ahnt bisweilen, in der Gegenwart von etwas Größerem zu sein, im göttlichen Jetzt. „Der Augenblick ist das Gewand Gottes“, formuliert der Religionsphilosoph Martin Buber. Darin liegt eine spirituelle Grunderfahrung, die viele Religionen miteinander verbindet, die aber auch zahlreiche Menschen machen, die sich keiner Religion zugehörig fühlen: Ich spüre, ich bin in diesem Universum nicht allein auf mich gestellt, sondern weiß mich verbunden mit einem großen Ganzen. Ich bin eingebettet in einen Zusammenhang, der über alles Begrenzte hinausreicht. Als Christin glaube ich, dass der göttliche Zusammenhang, in den wir eingebettet sind, „Liebe“ heißt. Dass diese Liebe ansprechbar ist. Und dass wir von der Liebe Angesprochene sind. Wir also mit Gott auf Du und Du stehen. Und dies weckt das Vertrauen: Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.

miteinander-Magazin 11-12/23

Das Zeitalter der Moderne verspricht nicht zuletzt mehr Freiheit, Sicherheit und Selbstbestimmung. Dann müssten wie die selbstsichersten Menschen auf dem Planeten sein, das ist offensichtlich nicht so. Warum?

In vielerlei Hinsicht ist das Leben in unseren Breitengraden sicherer geworden. So setzt ein Blitz heute kaum mehr Häuser in Brand. Doch zugleich schafft die moderne Technik eine widersprüchliche Situation: Wir können zwar per Streamingdienst über 100 Millionen Musiktitel abrufen, das weltweite Wissen mit einem Klick abfragen, die Heizung oder Klimaanlage per Fernbedienung anschalten und den Raum in beliebige Farbtöne tauchen. Aber was, wenn der Strom ausfällt oder die Technik aussetzt?! Dann bekommen wir nicht mal mehr die Fensterscheibe im Auto geöffnet und es kommt kein Wasser mehr aus den Leitungen.

 

Bisweilen versteckt sich Ohnmacht hinter der Maske von Wut. Welche weiteren Fluchtrouten gibt es, um dem unangenehmen Gefühl der Hilflosigkeit zu entfliehen?

Klassisch ist natürlich, das eigene Unbehagen zu betäuben oder sich abzulenken. Manche stopfen sich mit Essen voll oder gehen einkaufen oder flüchten in die Weiten des Internets. Oder sie sind ständig „busy-busy“ und stürzen sich in Arbeit oder Freizeitaktivitäten – nach dem Motto: „Egal was: Hauptsache, ich bin beschäftigt und komme nicht zur Besinnung!“ Als ob einen die Wahrheit des eigenen Lebens nicht einholen könnte, solange man für sie keine Zeit hat …

 

Die Corona-Pandemie hat uns mit Gefühlen der Ohnmacht konfrontiert, in der individuelle Freiheit und gesellschaftliches Miteinander bisweilen als unvereinbare Gegensätze wahrgenommen wurden. Was fehlte Ihnen persönlich in dieser Zeit im öffentlichen Diskurs?

Ich habe vermisst, dass wir im öffentlichen Diskus das Gefühl der Ohnmacht kaum thematisiert haben: Etwa das Ohnmachtsgefühl, wenn sich ein Ehepaar am Esstisch stumm gegenübersitzt, weil sie gegensätzliche Meinungen zur Pandemie und den Maßnahmen vertreten und sich meilenweit voneinander entfernt fühlen. Oder wenn Eltern zu Hause arbeiten und die Kinder Onlineschulunterricht haben – und dies alles auf kleinem Raum. Ich glaube, es hätte uns allen gutgetan, wenn das Erleben von Ohnmacht, Überforderung und Ausgeliefertsein mehr thematisiert worden wäre: Wie sich das anfühlt; was es auslöst; wie wir damit umgehen können.

 

Gewinnen Sie eines von drei Buchexemplaren!

Schreiben Sie uns mit dem Betreff „Gewinnspiel“: Stephansplatz 6/1/2/5, 1010 Wien oder E-Mail: office@canisius.at. Einsendeschluss: 24.11.2023 Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

 


miteinander-Magazin 11-12/23

Sr. Melanie Wolfers

ist diplomierte Theologin, 2004 der Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen Österreich beigetreten, Autorin, Philosophin und Vortragsrednerin.

Nimm der Ohnmacht ihre Macht

Melanie Wolfers: Nimm der Ohnmacht ihre Macht. Entdecke die Kraft die in dir wohnt. Bene-Verlag: 2023, ISBN: 978-3-96340-252-4, € 19,00.

 

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