Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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miteinander 7-8/2025
Der Sommer bringt mit seinen langen, hellen Tagen und einer Natur, die in vollem Saft steht, ein besonderes Lebensgefühl mit sich: das Gefühl von Freiheit, Offenheit und Verbundenheit. Die Welt wirkt weniger verschlossen und der Alltag verliert etwas von seiner Schwere. Hat dieses sommerliche Empfinden auch etwas mit Gott zu tun? Hat diese „Leichtigkeit des Seins“, die im Sommer besonders intensiv erfahren wird, eine theologische Signatur?
Für die Theologin Dorothee Sölle bestand ganz klar ein Zusammenhang zwischen dem Sommer als einer lichten, lebenssatten Jahreszeit und Gott, der im Johannesevangelium als Licht und Leben verkündet wird. In ihren Werken ist sie daher immer wieder auf den Sommer zu sprechen gekommen: „Wer das Leben liebt, liebt den Sommer, liebt die Sonne, liebt das Licht“, schreibt sie in Mystik und Widerstand. Oder: „Der Sommer ist das Magnificat des Lichtes“, so Sölle in Gott denken. Dorothee Sölles Theologie war geprägt von naturtheologischen Impulsen und einem naturmystischen Zugang zu Gott. Die Natur war für sie ein Ort der Gegenwart Gottes, in der Gott als das lebendige Leben körperlich-sinnlich erfahrbar werden kann.
Die Natur ist auch ein Ort, der viel über das Mysterium und die Weisheit Gottes erzählt. Und gerade die sommerliche Natur ermöglicht immer wieder kleine Erfahrungsräume der Gnade: Momente, in denen man spürt, wie das verheißene Leben in Fülle gemeint sein könnte – in gemeinschaftlicher Verbundenheit mit Menschen, Gott und der Schöpfung, in Leichtigkeit und Glückseligkeit ohne Mangel. Der Sommer schenkt mit seinem sinnlich erfahrbaren Reichtum an Licht und schöpferischer Fülle immer wieder ein Stück Himmel auf Erden – einen sinnlichen Vorgeschmack auf das Reich Gottes, der in Feierlaune versetzt. Daher sollte nach Sölle die Fülle der Schöpfung gefeiert werden.
Die Gnade des Da-Seins
Der christliche Glaube lebt von der Überzeugung, dass das Leben ein Geschenk ist. Die gesamte Schöpfung ist nicht aus Notwendigkeit geschaffen worden, um einem bestimmten Zweck zu dienen, sondern ist von Gott aus Liebe ins Dasein gerufen. Diese Glaubensvorstellung entlastet. Sie nimmt dem Leben seine Schwere, die es bekommt, wenn Menschen meinen, alles selbst schaffen und verantworten zu müssen. Wer in dieser Gnade lebt, lebt leichter. Der Sommer mit seiner verschwenderischen Fülle kann zu einem Symbol dieser Gnade werden: Üppige Früchte, warme Sonnenstrahlen, das Glitzern des Wassers – all das erinnert daran, dass wir in einer Welt leben, die uns nicht nur fordert, sondern auch reichlich beschenkt. Die Leichtigkeit des Sommers ist kein oberflächlicher Genuss, sondern eine Einladung zu Dankbarkeit und Offenheit gegenüber dieser Gnade des Da-Seins, die sinnlich erfahrbar werden kann im Sich-fallen-Lassen in den sommerlichen Mutterschoß der Natur. Der sinnlich aufgeladene Genuss der Gnade kann so zu einem Akt gegen den Leistungsdruck und die Selbstentfremdung der gegenwärtig hochbeschleunigten Arbeitswelt werden. Der Sommer ermöglicht die Erfahrung, einfach nur da-sein zu dürfen. Für Sölle ist dies aber nicht nur ein Privileg, sondern zugleich auch ein Akt des Widerstands gegen Fehlentwicklungen der kapitalistischen Welt, ein „Widerstand gegen das kalte Funktionieren“.
Widerstand und Naturmystik
Diese sommerliche Naturmystik ist bei Sölle aber kein Selbstzweck, keine bloße spirituelle Ressource. Vielmehr fordert die Naturmystik im Sinne Sölles dazu auf, die Natur aufmerksam wahrzunehmen. Unweigerlich hört man dann auch – metaphorisch gesprochen – den „Schrei der Mutter Erde“ aufgrund der Umweltzerstörung. Sölles Verständnis von Mystik als einer Kunst der aktiven Aufmerksamkeit fordert daher auch zum Widerstand gegen die Verzweckung und Ausbeutung der Natur auf.
Die sommerliche Natur ist demnach nicht nur romantisierend zu genießen, sondern auch bewusst in ihrer Vulnerabilität wahrzunehmen. Sie offenbart nicht nur die Präsenz Gottes, sondern auch einen bedrohlichen Grad an menschlicher Rücksichtslosigkeit und Zerstörungskraft. Diese Offenbarung menschlicher Untugenden ruft nach Sölle zum Handeln gegen die kapitalistisch motivierte Umweltzerstörung auf. So besehen offenbart die Gnade der sommerlichen Leichtigkeit zugleich die Schwere menschlichen Versagens gegenüber der Natur und anderen Mitmenschen.
Wenn wir diesen Sommer wieder mit schwer kontrollierbaren Waldbränden und Hitzetoten konfrontiert sein werden, werden wir daran erinnert sein, wie sehr die Natur auf unsere Verantwortungsübernahme und unser ökologisches Handeln angewiesen ist. Die Leichtigkeit des Sommers ist eben nur ein Vorgeschmack auf das Reich Gottes auf Erden – die aber zum ökologischen Handeln motivieren kann.
Dr. Martina Bär
ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.