Mag. Lukas Cioni
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miteinander-Magazin
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miteinander 7-8/2025
Frühjahr 2015, Apostolischer Palast: Ich stehe am Ende eines Korridors, der Marmorboden spiegelglatt, neben mir ein Lift – für den Papst. Im November 2014 zog ich mit zehn Rekruten in die Kaserne der Schweizergarde im Vatikan. Papst Franziskus befand sich hier im zweiten Amtsjahr, somit erlebte ich, wie er das Amt erfrischend neu interpretierte. Bevor ich dem lateinamerikanischen Pontifex jedoch zum ersten Mal begegnete, mussten wir als neue Gardisten ein mehrwöchiges Programm absolvieren.
Wir tauchten tief in die Geheimnisse des Vatikans ein und wurden Teil des Kleinststaats. Militärische Umgangsformen und Selbstverteidigungskurse wechselten mit Italienischstunden. Es gab einen Ordner mit Fotos der Curia Romana – der Leitungs- und Verwaltungsorgane des Heiligen Stuhls. Zudem diverse Autoschilder, Straßen-, Häuser- und Plätze-Namen sowie die Aufteilung des Apostolischen Palastes.
Nach dem Training wurden wir zu Hellebardieren ernannt. Kaum im Dienst, stand ich wartend beim Lift, in rot-gelb-blauer Uniform, mit weißen Handschuhen und gestriegelten Schuhen. Erst Monate später realisierte ich den Sinn des Dienstpostens vor dem Lift. Hier wurden neue Gardisten dem Papst „vorgestellt“ – dieser wusste, dass am Ende des Korridors ein junger Gardist wartet. „Der Papst verlässt die Residenz und besteigt den Ford Focus“, hörte ich über den Funk.
Kleines Auto, große Gesten
Die Geschichte zum Ford Focus erzählten mir ältere Gardisten: Normalerweise fuhren die teuersten Autos vor der provisorischen Wohnung des Pontifex beim Domus Sanctae Martae also dem Gästehaus Santa Marta vor, um den Papst 500 Meter zu den Empfangsräumen im Palast zu chauffieren. Doch Franziskus lies die Limousine Tag für Tag stehen und ging zu Fuß. Erst als er mit einem kleinen Ford Focus abgeholt wurde, stieg er ein.
Solche Anekdoten wurden täglich erzählt. Anders als seine Vorgänger war Papst Franziskus nicht durch seine Sekretäre abgeschottet. Er suchte das Gespräch mit allen – auch mit uns Gardisten. Es gab kaum einen Nachtdienst, an dem ich nicht mit Geschenken zurück in die Kaserne kam. Tauchte ein Gardist länger nicht auf seinem Posten auf, erkundigte sich Franziskus nach dessen Befinden.
Ich erinnere mich, als ich vor seiner Residenz Dienst hatte. Franziskus kam vor einem Treffen mit Vertretern der orthodoxen Kirchen auf mich zu: „Vado a cucinare“, sagte er – „Ich gehe kochen.“ Das verwirrte mich. Meine Italienischlehrerin meinte: „Vielleicht sagte er: vado a cucire – Ich gehe zusammennähen.“ Der Gedanke, dass Franziskus dies meinte, um Risse in der Ökumene, Politik und Gesellschaft zusammenzuflicken, gefiel mir. Es waren die kleinen Zeichen und Gesten von Franziskus, die in den ersten Jahren Erwartungen weckten. In den letzten Jahren waren viele enttäuscht: Verändert habe er nichts, sagen Kritiker, es sei bei Gesten geblieben.
Andiamo avanti
Zurück zu meiner ersten Begegnung: Ich stehe vor dem Lift. Als Franziskus den Korridor betritt, werde ich nervös, werfe mich aber in militärische Stellung. Er kommt auf mich zu, in der einen Hand eine Aktentasche, die andere zum Gruß ausgestreckt. Ich löse mich aus meiner steifen Haltung, wir geben uns die Hand: „Buongiorno, guardia“, sagt er freundlich.
Ich glaube, Papst Franziskus hat viel bewegt – gerade weil er keine großen und schnellen Reformen von oben verordnete, sondern es verstand, mit kleinen Gesten selbst eine etwas behäbige Kirche in Bewegung zu bringen. Ganz im Sinne seines Mottos: „Andiamo avanti“ – „Weiter geht’s.“
René Schaberger
ist Rektoratsassistent an der Theologischen Hochschule Chur in der Schweiz und promoviert in Theologischer Grundlagenforschung.