Mag. Lukas Cioni
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miteinander 7-8/2025
Vom französischen Priester und Theologen Alfred Loisy (1857–1940) stammt ein Satz, der eine Schlüsselerkenntnis der modernen Leben-Jesu-Forschung zum Ausdruck bringt: „Jesus verkündete den Juden das Reich Gottes und es kam die Kirche.“ Der Satz wird meistens kirchenkritisch gelesen. Aber so war er nicht gemeint. Vielmehr wollte Loisy auf eine Tatsache aufmerksam machen, nämlich die, dass Jesus vorösterlich seine Sendung ausdrücklich auf die Sammlung Israels beschränkte: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt“ (Mt 15).
Die Heilung einer syrophönizischen Frau, die auf diesen Satz dann doch folgt, ist als Ausnahme zu verstehen. Die Ausnahme übersteigt nicht den Rahmen der klassischen Prophetie, deren Adressat grundsätzlich Israel ist – was nie ausschloss und ausschließt, dass Israels Propheten auch Nicht-Juden heilten, wie z. B. den Syrer Naaman. Jesus blieb vorösterlich in diesem Rahmen. In der Aussendungsrede schärft er seinen Jüngern ein: „Geht nicht zu den Heiden und betretet kein Haus der Samariter, sondern geht nur zu den Schafen des Hauses Israel“ (Mt 10). Erst der Auferstandene sendet dann die Jünger in alle Welt zu allen Völkern (Mt 27).
Individuelle Berufung
Wie es zur Öffnung der Sendung für die Nicht-Juden kam, wird in der Apostelgeschichte ausführlich berichtet. Am Anfang steht offensichtlich ein Konflikt: Gehören die Nicht-Juden dazu, ja oder nein? Dürfen wir mit ihnen zusammen essen und trinken, ja oder nein? Wie hart der Konflikt war, das bezeugen die Paulus-Briefe. Paulus bezieht sich auf eine an ihn persönlich ergangene individuelle Berufung, um die Nicht-Juden mit hineinzunehmen in die Gemeinschaft der Jünger Jesu: „Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat“, schreibt er 14 Jahre später rückblickend, „mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Nicht-Juden verkünde …“
Hier finden wir die persönliche, individuelle Berufung des Paulus. Und er geht auch sofort in Distanz zu den Trägern der Tradition: „… da zog ich keinen Menschen zu Rate. Ich ging auch nicht gleich nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren …“ Doch nach vielen Jahren höchst umstrittener Tauftätigkeit geht er dann doch nach Jerusalem, und zwar mit folgender Begründung: „Ich legte der Gemeinde und insbesondere Angesehenen das Evangelium vor, das ich unter den Nicht-Juden verkündige. Ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin.“
Charisma und Institution
Der Mann mit der individuellen Berufung tut hier also kund, dass er „vergeblich läuft“, wenn er nicht die Anerkennung der Jerusalemer „Angesehenen“ bekommt. Hier wird das Verhältnis von individueller Berufung und Institution sichtbar. Ich umschreibe es mit den beiden Worten Charisma und Institution. Der Charismatiker Paulus anerkennt die Notwendigkeit der Institution für die Legitimation und den Erfolg seiner Sendung. Die wird dann im Apostelkonzil bestätigt: „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen.“ Ohne dieses Zusammenwirken von Charisma und Institution wäre die Gruppe der Jünger um Jesus eine kleine jüdisch- messianische Gruppe innerhalb des Judentums geblieben und die paulinische Inspiration hätte sich gnostisch im Meer des Hellenismus aufgelöst. Ohne Charisma wächst die Institution nicht. Ohne Institution verläuft sich das Charisma.
Lesen Sie in der nächsten Ausgabe, wie dieses Spannungsfeld die Kirche als Institutionprägt und warum dieser institutionelle Charakter unverzichtbar ist.
P. Klaus Mertes SJ
ist Philosoph, Theologe und Superior der Jesuitenkommunität in Berlin-Charlottenburg sowie Redaktionsmitglied der Kulturzeitschrift Stimmen der Zeit.
Quellenverweis
Vortrag vom 8. 2. 2025: „Spannung zwischen individueller Berufung und kirchlich institutionellen Strukturen“, Stuttgart, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart