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Wenn sich das Leben wendet

„Hoffnung ist Sauerstoff für die Seele“

Seit einem Autounfall vor 25 Jahren ist der Salzburger Thomas Geierspichler querschnittsgelähmt. Nach Krisenjahren hat er sich langsam zurück ins Leben gekämpft. Heute ist er u. a. Weltmeister im Rennrollstuhlfahren.

 

Interview von Norbert OBERNDORFER | 05.09.2019

 

Thomas Geierspichler: „Ich hatte keine Hoffnung im Leben“

 

Vor 25 Jahren verunglückten Sie auf dem Heimweg aus einer Diskothek mit dem Auto. Was ging Ihnen nach dem Aufprall durch den Kopf? Heute ist ja Sonntag, dachte ich, noch sechs Stunden Arbeit am elterlichen Bauernhof. Dann habe ich bemerkt: Nein, wir sind nicht daheim. Meine Füße haben zu zittern begonnen. Dann kribbelte es von den Zehen über die Waden und Oberschenkel bis rauf zum Hals. Mein erster wacher Gedanke war: Nein, auf keinen Fall in den Rollstuhl! In dem Moment habe ich nicht gewusst, was mit mir wirklich passiert ist. Mein Unterbewusstsein wusste da schon mehr.

 

Sie waren beim Unfall nur Beifahrer, ein Freund ist gefahren. Wie ist das Verhältnis - sind Sie noch Freunde?  Zu Beginn habe ich ihn gehasst und für das Geschehene ein völliges Unverständnis gehabt. Er war ja schuld, dass das passiert ist. Diesen Schuldschein gegenüber ihn kann ich aber nirgendwo einlösen. Das ist nur negative Energie, die man herumträgt, die einen belastet und krank macht. Mein Glaube hat mir das später ganz klar gezeigt. Ich habe ihm verziehen und absolut keinen Groll gegen ihn.

 

Wie sah Ihr Lebensplan vor dem Unfall aus? Mein Leben war vorgezeichnet. Es war klar, dass ich Bauer werden sollte. Das ist mir als Kind eingetrichtert worden. Jeden Tag, auch sonntags, die Kühe melken, um 5 Uhr aufstehen – da stößt die bäuerliche Romantik bald an ihre Grenzen. Eine richtige Vision oder einen Traum, was ich einmal werden wollte, habe ich als Kind nicht gekannt.

 

Nach Ihrem Unfall sind Sie zunächst in eine tiefe Krise gerutscht. Drogen, Alkohol …  Ja, ich habe bereits gegen Ende meines Reha-Aufenthalts einige Therapien geschwänzt, weil mich mein Leben einfach nicht mehr interessiert hat. Was soll mir schon ein Psychologe erzählen, wie man mit Querschnittslähmung umgeht, der nachher auf seinen eigenen zwei Haxen heimgeht. Es fängt mit Sarkasmus an. Abends habe ich mehr und mehr gesoffen. Dann meinen ersten Joint geraucht, immer mehr getrunken. Zurück in Anif fehlte mir jede Perspektive. So habe ich weiter Gras geraucht. Das hat mir eine rosarote Brille aufgesetzt, um die Realität nicht wahrhaben zu müssen, um sie erträglich zu machen.

 

Was bewirkte bei Ihnen dann die Lebenswende? Ein Freund hat mich einmal gefragt: „Wie geht’s dir?“ Dabei blickte er mir tief in die Augen und sagte: „Es interessiert mich wirklich, wie es dir geht.“ In dieser Stille war es das erste Mal, dass ich in mein Inneres reingeschaut habe und ihm antworten musste: „Ja, schlecht geht’s mir. Ich will nicht im Rollstuhl sitzen, ich hasse es. Ich möchte wieder Fußball spielen können, in einer Disco herumtanzen, herumhüpfen. Ich will das alles nicht mehr.“ Ich hatte keine Hoffnung in meinem Leben. Diese Erfahrung war eine 180-Grad-Wende. Ich war überwältigt. Dann habe ich Gott gesagt: Wenn es dich wirklich gibt, dann hilf mir, mit dem Rauchen, Kiffen und Saufen aufzuhören. Da hat es angefangen. Der Glaube hat mir geholfen, da rauszukommen, zu mir selbst zu kommen. Dem Schlechten etwas entgegenhalten, umdrehen, neu fokussieren, Gutes erwarten: Das ist Gott für mich. Der Sport ist nur ein Ventil, mit dem ich das zum Ausdruck bringe.

 

Mit Ihrer Erfahrung sprechen Sie nun vor Menschen aus Firmen, Organisationen und Vereinen. Was ist Ihre Kernbotschaft? Es gibt nicht so etwas wie das Ende der Fahnenstange. Es gibt immer eine Lösung und einen Ausweg. Ein Freund hat einmal gesagt: Hoffnung ist der Sauerstoff für die Seele. Entweder man ist hoffnungslos – das mündet in Selbstverdammnis, Selbstzweifel und Selbstentwertung und man stirbt langsam. Oder man hat Hoffnung. Ich will die Leute motivieren, den für sie bestimmten Weg zu suchen, zu finden und ihn auch zu gehen.

 

Thomas Geierspichler ist fünffacher Weltmeister im Rennrollstuhlfahren, sechsfacher Europameister und Paralympics-Sieger über 1500 Meter und im Marathon. Aktuell trainiert er für die Paralympics 2020 in Tokio.

Sein Motto lautet: „Alles ist möglich dem, der glaubt.“ Geierspichler lebt mit seiner Lebensgefährtin in Anif bei Salzburg.

 

Vom verhassten Behindertenbehelf zum lebensfüllenden „Berufungskompagnon“: Der Rollstuhl hat Ihr Leben nachhaltig verändert. Woher nehmen Sie die Motivation zum harten täglichen Training als Rennrollstuhl-Spitzensportler? Wie besiegen Sie den inneren Schweinehund? (Lacht) Den kenn’ ich! Je mehr man mit seinem inneren Schweinehund arbeitet, desto mehr wird einem bewusst, dass es ihn gibt. Diese Polaritäten sind für jeden Menschen gleich. Jedes Training ist eine geistige Kampfführung. Ich trainiere vier bis sechs Stunden sechs Tage die Woche. Das ist ein brutales Training. Mein Leben besteht hauptsächlich aus in der Früh aufstehen, frühstücken, trainieren, duschen, essen, niederlegen, aufstehen, trainieren, duschen, niederlegen. Es ist so getaktet, dass der Körper maximal und optimal belastet wird, damit eine Anpassung stattfindet. Ein Trainingsabbruch ist keine Option für mich. Prüfung und Kampf machen einen nur stärker, aber ich bin nicht unfehlbar. Mir geht’s auch mal schlecht. Wenn ich aufs Negative schaue, muss ich mich neu fokussieren und ausrichten, nicht überlisten lassen, sondern auf das schauen, was die Lösung bringt.

 

„Alles ist möglich dem, der glaubt!“ (Mk 9,23) lautet Ihr Lebensmotto. Haben Menschen, die nicht an Gott glauben können oder wollen, egal ob behindert oder nicht, auch diese Chance? Ja, natürlich können Menschen, die nicht an Gott glauben, auch Olympiasieger werden oder etwas anderes Großes schaffen. Mir gibt Gott in hoffnungslosen Situationen immer wieder Hoffnung. Einer meiner biblischen Lieblingsverse steht in Hebräer 11,1: „Der Glaube aber ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht.“ Die Frage ist, was man hofft. Ich glaube, es braucht die Hoffnung im Leben. Entweder man steckt den Kopf in den Sand, schaut nach unten und die Last wird schwerer. Oder man schaut dorthin, wo es wieder Hoffnung gibt. Ich bin ja auch kein Heiliger, schimpfe auch hin und wieder beim Autofahren oder im Alltag. Trotzdem weiß ich, das bringt mich nicht weiter. Hoffnung haben bedeutet, Gutes zu erwarten.

 

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