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Wenn sich das Leben wendet

Begleitung beim Weltübergang

Situationen von Lebenswenden und Lebensübergängen sind sensible biografische Punkte, die nach bewusster Gestaltung und Begleitung verlangen. Die Kirchen sind in diesem Bereich längst nicht mehr die einzigen Anbieter. 

 

Von Teresa SCHWEIGHOFER | 09.09.2019


Feeling of freedom, back view of adult man standing on pier facing to the sea with big waves beats against the shore on a cloudy autumn day, alone depress person,the power of nature, storm on seashore

Rituale helfen dabei, sich auf Veränderungen einzulassen. Man kann Altes abschließen und Neues begrüßen. Anbieter sind nicht nur die Kirchen.  

 

Leben ist Veränderung. Dieser Satz klingt banal, das macht ihn jedoch nicht weniger wahr. Lebensveränderungen entwickeln sich manchmal schleichend und kündigen sich schon lange vorher an. Andere wiederum kommen vollkommen überraschend, aus heiterem Himmel über die betroffenen Personen. Manche Veränderungen betreibt man aktiv, andere geschehen einem, mitunter auch ungewollt. Ganz gleich, wie sich der Veränderungsprozess gestaltet, hinterher ist die gewohnte Welt nicht mehr die gleiche.

 

Vielleicht mag das Wort „Weltuntergang“ zu drastisch klingen – mit Alfred Schütz lässt sich allerdings durchaus davon sprechen, dass bei großen biografischen Veränderungen eine Lebenswelt unter- und eine andere wieder aufgeht. Große Lebenswenden verändern Menschen und ihren Bezug zu ihrer Mitwelt von Grund auf; nicht immer von heute auf morgen, aber dennoch deutlich spürbar.

 

2001, mit 38 Jahren, kam die erste Wende. „Das klingt kitschig, aber ich hatte so etwas wie ein Berufungserlebnis“, beschreibt Monica Aschauer jenen Moment in einer Messe, als sie eine Predigt zum Thema „Gottes Stimme in dir ist leise“ hörte. „Da dachte ich mir, ich will in einem Hospiz arbeiten!“ Davor habe sie noch nie mit den Themen Pflege oder Medizin zu tun gehabt – auch in ihrem Umfeld sei niemand krank gewesen. Wie „aus heiterem Himmel“ sei dieser Gedanke gekommen, doch er ließ sie nicht mehr los.

 

Rituale des Übergangs

In der Menschheitsgeschichte haben sich genau an diesen Lebensübergängen viele unterschiedliche Rituale entwickelt, die man unter dem Begriff „rites de passage“ (A. v. Gennep) zusammenfassen kann. Ihr Ziel ist es, diesen Übergang von einer Lebenswelt in eine andere zu begleiten und die dabei entstehenden Unsicherheiten zu kanalisieren. So zumindest die klassischen Theorien zur zentralen liminalen Phase des „Weder–Noch“ oder, mit einem Titel von Viktor Turner gesprochen, des „betwixt and between“.

 

In Europa haben sich entsprechend der christlichen Prägung einzelne Sakramente und Sakramentalien an traditionellen Lebensübergängen angesiedelt und somit lange Zeit diese Funktion übernommen. In einem immer säkularer werdenden Europa, in dem Glaube jeglicher Denomination zu einer Möglichkeit unter vielen geworden ist, sind die ehemaligen rituellen Selbstverständlichkeiten allerdings begründungspflichtig geworden und rituelle Lebensbegleitung ist auf den Markt gekommen. Neben den christlichen Kirchen findet sich heute eine Vielzahl an unterschiedlichen Anbietern für Rituale, unter denen man relativ frei und nach der je eigenen Präferenz wählen kann.

 

Zur Person:

Dr. Teresa Schweighofer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Theologie der Universität Tübingen.

 

Was gleich geblieben ist – sich allenfalls noch verstärkt hat –, das ist der grundsätzliche Wunsch nach ritueller Gestaltung von zentralen biografischen Veränderungen. Dies lässt sich sowohl individual- als auch sozialpsychologisch erklären und hat zugleich eine Weltanschauungsdimension: Auf der individualpsychologischen Ebene sehnen sich Menschen, deren Leben sich radikal verändert, nach Ausdrucksformen, um diese Veränderung kenntlich zu machen.

 

Zum Teil wird Ritualen auf dieser Ebene auch verändernde Wirkung zugeschrieben. Rituale können darüber hinaus als Wegmarken dienen, die Leben strukturieren und so integraler Teil von Lebensgeschichten werden.

 

Kristallisationspunkte für Sinnarbeit

 

Daneben gibt es das Bedürfnis nach affirmativem Zuspruch, der umso größer wird, je unfreiwilliger oder umstrittener die Veränderung ist. Solche Umbrüche betreffen allerdings auch das soziale Umfeld. Deshalb haben diese Rituale immer eine soziale Dimension, insofern als durch Rituale die individuelle, vielfach unsichtbare Veränderung auch für das Außen wahrnehmbar und von diesem durch Mitfeiern positiv bestätigt und dadurch mitgetragen wird. Zu guter Letzt haben Rituale eine lebensdeutende Dimension, da in ihnen die zentralen Überzeugungen und Werthaltungen kommuniziert und zum Teil – das wird etwa im Rahmen freier Rituale besonders deutlich – überhaupt erst ausgehandelt werden.

 

Lebensveränderungen sind bevorzugte Kristallisationspunkte für Sinnarbeit und Lebensdeutung, da sich die Frage nach dem Sinn meist erst durch die krisenhafte Veränderung stellt. Der Alltag kommt weitgehend ohne explizite Sinnarbeit aus. Gerade dieser weltanschaulich-orientierende Aspekt wird heute vielfach stärker nachgefragt als in Zeiten starker religiöser, sinnstiftender Institutionen: Wo vieles möglich ist, da wird auch vieles fraglich. Deshalb sind auch individuelle Rituale von sozialer und weltanschaulicher Bedeutung und nicht zuletzt deshalb theologisch relevant. 

Für viele biographische Punkte gibt es bisher kein kirchlich-rituelles Angebot: etwa beim Verlust des Arbeitsplatzes, bei einer überstandenen schweren Krankheit oder der Verlagerung des Lebensmittelpunkts.

Diese Veränderungen erleben auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der pastoralen Praxis und so gibt es bereits seit einigen Jahrzehnten eine intensive Auseinandersetzung mit Fragen der kirchlichen Ritenpastoral. Modelle der mystagogisch-katechetischen Sakramentenvorbereitung gelangen mitunter an ihre Grenzen, wenn mit der jeweiligen sakramentalen Feier von den Betroffenen ein anderer Inhalt als der lehramtlich verbriefte intendiert wird. In posttraditionalen Gesellschaften haben sich zugleich die relevanten Lebenswenden diversifiziert und für eine ganze Reihe zentraler biografischer Punkte gibt es bisher kein kirchlich-rituelles Angebot: etwa beim Verlust des Arbeitsplatzes, anlässlich einer überstandenen schweren Krankheit oder bei einem Umzug und der Verlagerung des Lebensmittelpunkts – etwas, das in einer mobilen Gesellschaft viele Menschen regelmäßig betrifft.

 

Zwar gibt es an immer mehr kirchlichen Orten eine ganze Reihe von Segensangeboten wie den Segen für werdende Eltern und den Segen für Liebende an Valentinstag. Im hochsäkularen Erfurt bietet die katholische Kirche auch sogenannte „Lebenswendefeiern“ an als Angebot für nichtchristliche Jugendliche, die eine Alternative zur Jugendweihe suchen. Für das umfassende Angebot ritueller Begleitung an jedem denkbaren Lebenspunkt wenden sich allerdings immer mehr Menschen an außerkirchliche Spezialisten, sogenannte Freie Ritualbegleiterinnen und -begleiter. Dort lasse sich für jedes Anliegen ein entsprechendes Ritual entwickeln.

 

„Was willst du, dass ich dir tue?“

 

Dabei ist genau dieser Dienst einer mäeutischen Begleitung von Menschen bei ihrer Sinnsuche eine der zentralen Aufgaben von Kirche: Nimmt man sich das Handeln Jesu zum Vorbild, dann werden seine Situationssensibilität, die vorurteilsfreie Wahrnehmung und das Wertschätzen der Selbstverantwortung des Gegenübers zu zentralen Leitlinien pastoralen Handelns. Besonders deutlich werden diese Einstellungen etwa bei der Heilung eines Blinden bei Jericho (Lk 18,35–43). Dort fragt Jesus den Mann, der nach ihm ruft und um Erbarmen bittet: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Hier und in vielen anderen biblischen Erzählungen, überlässt Jesus seinem Gegenüber die Entscheidung darüber, was gerade gut für sie/ihn ist.

 

Sich auf die Lebens- und Weltdeutungen von Menschen einzulassen, bedeutet aber keine banale Angleichung an deren Weltanschauungen und keinen Verrat an der christlichen Botschaft, es bleibt in einem Gespräch auf Augenhöhe immer auch Raum für prophetische Kritik. Allerdings gewinnt man durch ein solches Gespräch viel mehr als durch Top-down-Belehrungen: Man kann ganz im Sinne einer theologiegenerativen Gegenwart den Geschichten Gottes mit den Menschen des 21. Jahrhunderts auf die Spur kommen und von ihnen und ihren Versuchen, dieses Leben zu meistern, ausgehend das Evangelium neu entdecken. Die je individuellen Lebenssituationen und ihr Bedürfnis nach ritueller Bearbeitung werden dann zu einem zentralen Ort der Theologie.

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